Mit freundlichen und anderen Grüßen

Die Türkei verliert gegen die Niederlande 1:2. Weder Wolfsgrüße noch ein extra angereister Staatspräsident konnten daran etwas ändern. Aber die Geste des Turniers steht fest

Türkische Nicht-nur-Fußball-Fans im Berliner Olympiasta­dion Foto: imago/Newspix

Aus Berlin Andreas Rüttenauer

Es waren doch sehr viele Bilder, die sich an diesem Tag in das Turniergedächtnis eingebrannt haben. Das drollige Gehüpfe der Fans in Orange nach dem 2:1-Erfolg der Niederlande gegen die Türkei auf den Rängen des Berliner Olympiastadions wird eher nicht dazugehören. Auch wie die drei Tore gefallen sind, wird die Welt schnell vergessen haben. Ebenso wird die Frage, warum sich am Ende die Niederlande durchgesetzt haben, nur am Rande diskutiert werden. Die Bilder von Tausenden Fans der türkischen Auswahl, die vor dem Spiel bei ihrem Fanfest auf dem Weg zum Stadion und in der Arena selbst die Hände zum sogenannten Wolfsgruß in die Höhe gereckt haben, wird man dagegen so schnell nicht vergessen.

Diese Geste, die sich von einem Erkennungszeichen der ultranationalistischen und rassistischen Bewegung der Grauen Wölfe zu so etwas wie einer typischen Handbewegung von Türken entwickelt hat, die den Stolz auf ihre Nation zum Ausdruck bringen möchten, bestimmt schon am Nachmittag – Stunden vor dem Anpfiff – die Stimmung vor dem Spiel. Die Berliner Polizei löste einen geplanten Fanmarsch vom Treffpunkt der türkischen Anhänger an der Gedächtniskirche zum S-Bahnhof Charlottenburg auf, weil da allzu viele Wolfsgrüße zu sehen waren.

Einer zeigte ein kleines Transparent, auf dem „Uefa Mafia“ zu lesen war – zweifellos eine Anspielung auf die Sperre von zwei Spielen, welche der europäische Fußballverband gegen Merih Demiral verhängt hatte. Der hatte nach seinem 2:0 gegen Österreich den Wolfsgruß gezeigt und weil die Uefa das als eine auf dem Platz verbotene politische Einlassung ansah, sprach sie die Sperre aus. Fangruppierungen riefen daraufhin zum kollektiven Zeigen des Wolfsgrußes auf.

An der Spitze des später aufgelösten Marsches liefen finster dreinblickende Männer, die so gar nicht zu den heiteren Gesichtern der anderen EM-Besucher passen wollten, die am Ende des Zuges Richtung Stadion unterwegs waren. Doch auch die scheuten sich nicht, den Wolfsgruß zu zeigen, oder hatten offensichtlich nichts dagegen, wenn andere ihn zeigten. In den sozialen Medien muss es an diesem Tag nur so gewimmelt haben von Wolfsgrüßern. Wer den üblen Gruß zeigte, legte meist auch Wert darauf, dass jemand ihn mit dem Smartphone festhielt.

Später, als kurz vor dem Anpfiff im Stadion die türkische Hymne erklang und zu Tausenden Wolfsköpfe mit den Händen geformt wurden, war Ähnliches zu beobachten: ein für das Smartphone inszenierter Gute-Laune-Nationalismus, der beinahe ein wenig an die lachenden Ausländer-raus-Heinis von Sylt erinnert hat. Auf den Videowänden im Stadion und auch in den offiziellen Uefa-Bildern fürs Fernsehen war davon nichts zu erblicken. Die Bilder türkischer Fans, wie sie gerade mit ihren Händen Herzen geformt haben, waren indes auch echt.

Der Wolfsgruß hat der EM-Stimmung im Stadion, die alles andere als aggressiv war, nichts anhaben können. Und als die Niederländer nach Schlusspfiff feiernd und die Türken, die nach dem Führungstreffer von Samet Akydin in der 35. Minute auf den ganz großen Erfolg gehofft hatten, friedlich trauernd das Stadion verließen, war von Wolfsgrüßen nichts mehr zu sehen.

Wie dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan die Stimmung gefallen hat, ist nicht überliefert. Der war nach der Affäre Wolfsgruß, die gar diplomatische Verwicklungen zwischen Deutschland und der Türkei hervorgerufen hatte, nach Berlin gereist, um die Nationalmannschaft zu unterstützen. Auch er wurde nicht gezeigt auf den Anzeigetafeln im Stadion. Doch schnell verbreiteten sich Social-Media-Posts, die ihn kurz nach dem türkischen Führungstreffer im Stadion bei einer ganz speziellen Jubelgeste zeigen. Er winkt huldvoll in die Menge, als hätte er selbst das Tor geschossen.

Die Polizei löste einen Marsch türkischer Fans auf: zu viele Wolfsgrüße

Andere Bilder zeigen, dass hinter ihm ein gewisser Mesut Özil saß. Der deutsche Weltmeister von 2014 hatte sich vor ein paar Monaten ein Bekenntnis zu den Grauen Wölfen tätowieren lassen und hatte seine Reise in einer Story auf Instagram angekündigt, nicht ohne den Wolfsjubel von Demiral gebührend zu feiern. Eine Provokation, die auf Social Media schnell Kreise zog. Zum Aufheizen der Stimmung im Stadion konnte sie nicht beitragen.

Dort ging es um den Einzug ins Halbfinale und niemand wird behaupten, dass der Niederländer Stefan de Vrij so ungestört zum Ausgleich einköpfen konnte, weil seine Gegenspieler in dem Moment gerade nicht stolz genug auf ihre türkische Herkunft waren. Auch das spielentscheidende Eigentor, das Mert Müldür in einem Zweikampf auf dem Hosenboden gegen Cody Gakpo passiert ist, wird wohl nicht zu einer nationalen Schande erklärt. Das liegt sicher auch daran, dass nach dem Spiel die berechtigte Frage in der Luft lag, ob mit den Niederlanden wirklich das bessere Team in diesem Spiel gewonnen hat. Denen fiel lange nichts, aber auch gar nichts ein, um irgendwie den aus neun Spielern formierten Abwehrriegel der Türken zu überwinden. Die Türken dagegen kamen immer wieder zu Durchbrüchen, hatten die besseren Chancen als die Niederlande und mit Baris Yilmaz einen Stürmer, der bisweilen selbst den hochdekorierten Meister der Innenverteidigung, Virgil van Dijk, schier zur Verzweiflung gebracht hat.

Dementsprechend stolz war der italienische Trainer Vincenzo Montella nach dem Spiel, so wie er den Stolz der türkischen Fans lobte. Am Tag vor dem Spiel hatte er die Uefa-Entscheidung zur Sperre von Merah Demiral noch als unfair bezeichnet und als von Ahnungslosigkeit getragen. Nach dem Spiel wollte er darüber nicht mehr reden. Die Niederlande stehen im Halbfinale. Die Türkei ist ausgeschieden. Vom Wolfsgruß war erst mal keine Rede mehr. Er wird dennoch als Geste der EM in die Turniergeschichte eingehen.