die erklärung
: Mehr Freiheit, den Verkehr zu regeln

Die Bundesländer stimmten einer neuen Straßenverkehrsordnung zu. Die soll Kommunen nun mehr Möglichkeiten bei der Planung, beim Klimaschutz und bei der Sicherheit geben

Kommunen können ihre Straßen jetzt sicherer machen. Das ist nicht nur für Schul­kinder gut Foto: Fo­to:­ Thomas Trutschel/imago

Von Nanja Boenisch

Der Mariannenpark in Leipzig ist abwechslungsreich. Es gibt weitläufige Grasflächen, die „große Tummelwiese“ ist vor allem im Sommer voll: Menschen pick­nicken, Kinder spielen, hier und da steigt Rauch aus einem Grill auf. Zwischen Bäumen sind Slacklines aufgespannt. Im Westen liegt eine Kleingartenkolonie, im Süden ein Rosengarten.

Den Parkrand entlang verläuft die Schönefelder Allee. Keine Hauptverkehrsader, aber die Autos, die sie befahren, machen ordentlich Lärm. Die Straße ist gepflastert und nicht allzu breit. Gegenüber dem Park liegt eine Wohnsiedlung, trotzdem gilt auf der Straße Tempo 50. Es gab im Leipziger Stadtrat schon einen Antrag für die Einführung von Tempo 30, erzählt Tobias Peter, Vorsitzender der Grünen-Fraktion in der Stadt. Der blieb erfolglos.

Mehr Spielraum für die Kommunen

Jetzt hofft Tobias Peter auf eine neue Chance: Am Freitag hat der Bundesrat eine Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) abgesegnet. „Die StVO wurde schon oft novelliert“, sagt Swantje Michaelsen, Mobilitätsexpertin der Grünen im Bundestag. „Aber diese Novelle ist etwas Besonderes.“ Sie soll Kommunen deutlich mehr Spielraum bei der Verkehrsplanung geben. Mit der neuen StVO könnten sie zum Beispiel Klimaschutz vor Ort stärken, einen Radweg anordnen oder eine Fahrspur nur für Busse einrichten, sagt Michaelsen. Oder sie könnten einen Zebrastreifen anlegen und damit einen Schulweg sicherer machen.

Zuerst haben sich die Bundesregierung und die Bundesländer auf eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) geeinigt, das ist gut drei Wochen her. Das StVG bildet die rechtliche Grundlage – die StVO legt fest, wie Kommunen diese rechtliche Grundlage ausgestalten können. Lange schrieben sowohl das Gesetz als auch die Straßenverkehrsordnung vor, dass der flüssige Autoverkehr an erster Stelle steht.

Städte und Gemeinden konnten verkehrsplanerische Maßnahmen – eben zum Beispiel einen Zebrastreifen, einen Kreisverkehr oder eine Geschwindigkeitsbegrenzung – deshalb oft nur schwer umsetzen. In vielen Fällen waren Einschnitte in den Autoverkehr nur dann möglich, wenn sich eine Stelle als gefährlich erwiesen hat – schlimmstenfalls also erst nachträglich, wenn es dort schon zu Unfällen gekommen war.

Nun enthält das neue StVG mehr als das Ziel, Pkw flüssig durch den Verkehr zu bringen. Projekte dürfen auch der Gesundheit, dem Klimaschutz oder der sogenannten städtebaulichen Entwicklung dienen, diese Ziele sind fest im Gesetz verankert.

„Es war höchste Zeit, dass das angestaubte Straßenverkehrsgesetz endlich in der komplexen Verkehrsrealität von heute ankommt“, kommentierte ADFC-Bundesgeschäftsführerin Caroline Lodemann nach der Einigung Mitte Juni. Sie eröffne „Möglichkeiten für eine klima- und menschenfreundliche Gestaltung der Straßen“. Fahrradstraßen, geschützte Radfahrstreifen und Tempo-30-Abschnitte würden nicht mehr „durch unsinnige Bürokratie ausgebremst“.

Ausgebremst fühlte sich lange auch Freiburgs Bürgermeister Martin Haag: Im Osten der Stadt herrscht ein Chaos aus verschiedenen Geschwindigkeiten: In der einen Straße gilt tagsüber Tempo 50, nach Tempo 30, um ein Wohngebiet vor Lärm zu schützen. Nur ein paar Hundert Meter weiter dürfen Autos zu jeder Tageszeit höchstens 30 Kilometer pro Stunde fahren, weil dort ein Kindergarten ist. In der Parallelstraße ist ebenfalls ein Kindergarten, deshalb heißt es auch hier tagsüber Tempo 30 – nachts sind jedoch 50 Kilometer pro Stunde erlaubt, weil keine Lärmgrenze überschritten wird. Für An­woh­ne­r:in­nen ist die Lage kaum zu überblicken, für Be­su­che­r:in­nen erst recht. Haag will einheitlich Tempo 30 einführen, zu jeder Tageszeit. Dafür setzt auch er auf die neue StVO und auf neu gewonnene Freiheiten: „Die Kommunen möchten mehr Verkehrssicherheit und mehr Umwelt- und Stadtverträglichkeit des Verkehrs“, sagt der Bürgermeister.

Die Ampelregierung hatte sich die Reform des Straßenverkehrsrechts schon in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen. Im Herbst 2023 legte sie einen Entwurf für das StVG vor, den Verbände als Fortschritt feierten. Doch der Bundesrat schmetterte die Novelle im November ab, über die ebenfalls geplante StVO-Reform wurde dann gar nicht mehr abgestimmt. Vor allem die Bundesländer, in denen die Union mitregiert, sprachen sich gegen das modernisierte Gesetz aus. Ihre Begründung: Die Verkehrssicherheit werde nicht groß genug geschrieben. Deshalb enthält die neueste StVG-Reform, die auch die Bundesländer nach monatelangem Ringen annahmen, eine explizite Klausel: Neue Verkehrsplanung dürfe die Verkehrssicherheit nicht gefährden.

Die sogenannte Vision Zero, also das Ziel, die Zahl der Verkehrstoten in Richtung Null zu bringen, hat es allerdings nicht in den Gesetzestext geschafft. Der ADFC kritisierte, dass so unklar bleibe, was mit der Formulierung zur Verkehrssicherheit im StVG gemeint sei. Blechschäden zu reduzieren reiche zum Beispiel nicht aus, sagte Geschäftsführerin Lodemann. Die Unversehrtheit der Menschen, die zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren, sich also ungeschützt durch den Verkehr bewegen, müsse oberste Priorität haben. Andere Umweltverbände bemängelten, dass auch das neue Gesetz und die neue Verordnung den Kommunen noch nicht genug Freiheiten geben, etwa wenn sie die Parkgebühren vor Ort erhöhen wollen.

Den eigenen Ministern zum Trotz

Der grünen Bundestagsabgeordneten Swantje Michaelsen ist es trotzdem wichtig zu betonen, dass die Reformen ein Erfolg sind – trotz aller Luft nach oben. „Wir hoffen, dass die Kommunen von ihren neuen Möglichkeiten Gebrauch machen“, sagt sie. Genau das will Frauke Burgdorff, Dezernentin für Mobilität und Stadtplanung der Stadt Aachen, in ihrer Kommune machen. Auch sie hofft, dass die neue StVO in nahezu allen Bezirken lange geplante Projekte möglich macht, zum Beispiel einen Zebrastreifen auf der Straße vor einem Supermarkt. Es gebe eine Liste mit Ideen für die Verkehrsplanung, die „Hoffnungsliste“. Sie werde nun prüfen, für welche Ideen sie ihren Spielraum ausschöpfen kann.

Burgdorff ist außerdem Sprecherin der „Initiative für lebenswerte Städte und Gemeinden durch angepasste Geschwindigkeiten“. Dem Bündnis gehören inzwischen 1.093 Kommunen an, seit 2021 macht es sich dafür stark, dass Lokalregierungen freier gestalten können – vor allem, dass sie leichter Tempo-30-Zonen einführen können. Die meisten der Kommunen in der Initiative sind CDU-geführt.