Gewalt gegen Männer ist ein Tabuthema

Männer werden häufiger Opfer von Gewaltdelikten als Frauen. Drei Studentinnen der Hochschule Bremerhaven wollen mit einer Kampagne ein Bewusstsein dafür schaffen

Zeigt, dass Gewalt gegen Männer nicht abgetan werden sollte: Plakat der Kampagne Foto: Ellen Technau

Von Marta Ahmedov

Männer begehen mehr Straftaten als Frauen – das ist allgemein bekannt. Worüber weniger gesprochen wird: Männer werden auch häufiger selbst zum Opfer. 2023 waren laut Polizeilicher Kriminalstatistik bundesweit fast 60 Prozent der Opfer aller Straftaten männlich. Bei schweren Gewaltdelikten liegt der Anteil noch höher: Mehr als zwei Drittel der Straftaten gegen das Leben richteten sich im vergangenen Jahr gegen Männer, bei Raubdelikten waren sogar 76,2 Prozent der Betroffenen männlich.

Julia Scheunemann, Ellen Technau und Veronika Wisniewski sind Studentinnnen an der Hochschule Bremerhaven. Als sie in ihrem Studiengang Digitale Medien eine soziale Kampagne planen sollten, fiel ihnen Gewalt an Männern als ein „Tabuthema“ auf, wie sie es selbst bezeichnen.

„Wir haben anfangs in verschiedene Richtungen recherchiert und waren wirklich erstaunt darüber, wie wenige Angebote es für männliche Gewaltbetroffene gibt. Sowohl die Informationslage als auch die Hilfsinfrastruktur sind in diesem Bereich sehr schlecht“, sagt Wisnieswski. „Gerade weil Gewalt gegen Männer so ein blinder Fleck ist, trauen sich viele Männer nicht, sich Hilfe zu holen“, fügt ihre Kommilitonin Scheunemann hinzu.

Diese Einschätzung bestätigt auch Hans-Jürgen Zacharias. Er ist Landesvorsitzender des Weißen Rings, des größten unabhängigen Opferschutzvereins in Bremen und Bremerhaven. „Männer haben oft ein verzerrtes Gewaltempfinden und spielen die Gewalt, die sie selbst erleben, herunter“, sagt er. „Eine Schlägerei wird dann verharmlosend als etwas abgetan, was man unter Männern eben so macht, und auch bei anderen Körperverletzungen denken Männer eher, dass sie das eben aushalten müssten.“

Um dagegen anzugehen, entschieden sich Scheunemann, Technau und Wisniewski dazu, ihre Kampagne zu diesem Thema zu entwickeln. „Wir haben schon im Herbst 2022 mit der Planung angefangen und wollten die Kampagne eigentlich schon im letzten Sommer veröffentlichen“, erzählt Wisniewski. Der Start hat sich ein wenig verzögert – allerdings nur, weil das Projekt viel größer wurde, als eigentlich geplant.

Das liegt vor allem daran, dass es den drei Studentinnen gelang, große Kooperationspartner für ihr Vorhaben zu gewinnen: Der Weiße Ring hat die Entwicklung der Kampagne begleitet und finanziell unterstützt, außerdem beteiligte sich die Polizei Bremerhaven.

Auch mit Betroffenen sprachen die Studentinnen. „Als wir erzählt haben, dass wir eine Kampagne zu diesem Thema planen, waren wir sehr überrascht davon, dass auch männliche Bekannte aus unserem Umfeld auf uns zugekommen sind und uns von ihren Gewalterfahrungen berichtet haben“, erzählt Wisniewski. „Ich glaube, es wurde auch sehr positiv aufgefasst, dass wir als Frauen uns dieses Themas annehmen“, ergänzt Scheunemann. Auch der Weiße Ring konnte Kontakte zu Betroffenen vermitteln. Auf der Website der Kampagne sind so auch Erfahrungsberichte von Männern zu finden, die selbst Opfer von verschiedenen Arten von Gewalt wurden.

Neben der Website produzierten die Studentinnen Flyer, Plakate, Videos und bespielen einen eigenen Instagram-Kanal unter dem Hashtag #gewaltanmaennern. In den letzten Wochen konnte man die Plakate in ganz Bremerhaven entdecken.

„Männer spielen die Gewalt, die sie selbst erlebt haben, oft herunter“

Hans-Jürgen Zacharias, Weißer Ring

„Ich finde das Ergebnis der Kampagne sehr gelungen“, sagt Zacharias vom Weißen Ring, der die Entwicklung begleitete. Er sieht darin auch eine präventive Wirkung: Denn Betroffene von Gewalt werden potenziell selbst zu Gewalttätern. „Unsere Hoffnung ist, dass wir mit der Kampagne Männer aus dieser Spirale rausholen können, indem sie erlebte Gewalt aufarbeiten, anstatt sie weiterzugeben.“

Auch die drei Studentinnen Scheunemann, Technau und Wisniewski sind mit ihrer Arbeit sehr zufrieden. „Gerade durch die Plakate hatten wir jetzt eine große Sichtbarkeit in der Stadtgesellschaft“, stellt Wisniewski fest. „In Reaktion darauf haben uns auch einige Männer angeschrieben, die selbst Gewalt erlebt haben und darüber für unsere Website mit uns sprechen wollen, um auf das Thema aufmerksam zu machen.“

Auch wenn das Seminar in der Hochschule jetzt abgeschlossen ist, wollen die drei die Website weiter pflegen. „Das Thema ist uns in den letzten anderthalb Jahren echt ans Herz gewachsen“, sagt Wisniewski dazu. „Und uns ist ganz wichtig: Es geht uns alle an!“