Leistungskurs Apokalypse

Die Jugend von heute lernt auf einem Münchner Gymnasium mit dem Untergang der Menschheit umzugehen

Antikes Wagenrennen steht in München auf dem Lehrplan Foto: ap

Von Patric Hemgesberg

Als wir uns dem überfüllten Schulhof der „Zorn-Gottes-Gesamtschule“ im Münchner Stadtteil Moosach nähern, fliegen uns plötzlich aus allen Richtungen Steinkugeln um die Ohren. Zum Glück schwebt Schulleiter Alois Mühlbauer bereits in seinen monströs großen Sandalen heran. Der greise Endsiebziger mit wallender Mähne, Rauschebart und knöchellangem Gewand lässt seinen armdicken Holzstab dreimal auf den Asphalt donnern. Die vogelwilden Pennäler geben augenblicklich Ruhe.

„Sie müssen entschuldigen. Hier dürfen sich aufmüpfige Schüler der unteren Jahrgänge gegen hünenhafte Primaner mit Steinschleudern zur Wehr setzen“, verdeutlicht Mühlbauer uns das David-gegen-Goliath-Prinzip der brandneuen Lehranstalt.

Wie der Oberlehrer berichtet, habe er sich von einem Gesetz im US-Bundesstaat Louisiana, das den Aushang der Zehn Gebote in Bildungseinrichtungen zur Pflicht macht, zur Schulgründung inspirieren lassen. „Ich wusste sofort: Da ist noch viel Luft nach oben! Als ich nach 40 Tagen Fasten mit meiner Steintafel den Münchner Luitpoldhügel heruntergekraxelt bin, waren Kollegium, Bistum und Landesregierung vom pädagogischen Konzept hellauf begeistert. Und so konnte ich unser ehemals naturwissenschaftlich-technologisches Gymnasium innerhalb kürzester Zeit zum fundamentalistischen Gottestempel umbauen“, freut sich der tiefgläubige Oberstudienrat. „Wenn unser Modellprojekt fruchtet, könnten bald alle Schulen im Freistaat so aussehen. Hier entlang, bitte!“

Wenig später stehen wir mit dem Gründervater vor einem völlig verkokelten und noch qualmenden Ginsterstrauch. „Wir Alttestamentarier glauben an die Existenz eines unbarmherzigen und strafenden Gottes, der auch kleinen Ungehorsam auf der Stelle mit blutrünstiger Rache ahndet“, keckert Mühlbauer. „Deswegen gibt es auch bei jedem Morgenappell vor Schulbeginn für die Kinder erst mal einen ordentlichen Einlauf vom Brennenden Dornbusch. Da das natürlich nicht der echte ist, haben wir ungefähr 3.000 Stück davon gefriergetrocknet und im Keller eingelagert“, zwinkert uns der Direx komplizenhaft zu. „Den authentischen Gotteshall vom Band hat Papst Benedikt übrigens noch höchstpersönlich eingesprochen.“

Die Anzahl der Schulfächer auf dem „ZGG“ wurde laut Mühlbauer in Absprache mit dem Kultusministerium knallhart nach unten korrigiert. „In Schöpfungsgeschichte, Körperertüchtigung, christlicher Evolutionslehre und Apokalyptik wird den Kindern das Wenige vermittelt, was sie bis zum Jüngsten Tag wissen müssen. Den Grundkurs in Anatomie kann man bei uns übrigens mit dem Betrachten einer Replik von Adams Rippe schon nach 15 Unterrichtssekunden abschließen.“

Wir folgen Mühlbauer auf die schuleigene Rennbahn, wo seine Zöglinge sich gerade bei 35 Grad im Schatten über den Tartanbelag schleppen.

„Laut Lehrplan steht für die komplette Unterstufe heute die Reise nach Jerusalem auf dem Programm“, erklärt uns der Schmalspur-Moses. „Natürlich nicht der verweichlichte Quatsch mit den Stühlen! Hier wird jeweils montags, mittwochs und freitags in insgesamt 9.000 Doppelstunden von Ägypten ins Gelobte Land gewandert.“

Angesichts der exzellenten Bedingungen möchte Mühlbauer heute für einen Extra-Motivationsschub sorgen und hat ein paar Referendare als Antreiber in ihre altägyptischen Streitwagen beordert. „Leider mussten wir unsere Schlachtrösser aufgrund vereinzelter Elternbeschwerden gegen Island-Ponys austauschen.“

Es ist Mittag. Wegen der flirrenden Hitze dürfen sich die Schüler im Schatten an einer entspannten Softballsteinigung erfreuen. Nur für den Schülersprecher, der Friedrich Merz erstaunlich ähnlich sieht, wird es ernst. Der 18-Jährige ist zusammen mit dem Schulmeister und einer zwölfköpfigen Prüfungsdelegation nach Schwabing gewandert, um an den Ufern des Olympiasees sein Examen als gesalbter Heilsbringer abzulegen. Mit Erfolg. Das Trennen des Riesentümpels in zwei Hälften mit anschließendem Hindurchgehen fluppt wie geschmiert.

Der vom Ausmaß seiner Fähigkeiten völlig begeisterte Nachwuchs-Moses macht sich sofort auf den Weg nach Potsdam. Von dort will er die Stadtgrenze nach Berlin palmwedelnd auf einem Esel überqueren, um die Pharisäer in der deutschen Hauptstadt Mores zu lehren.

Derweil frohlockt Mühlbauer. „Seit ich als Lehrer am Nürnberger Dürer-Gymnasium den damals noch überaus bescheidenen Markus Söder von seiner eigenen Göttlichkeit überzeugen konnte, habe ich immer von einem neuen Erlöser geträumt“, kann Mühlbauer sein Glück kaum fassen. Der Seelenhirte sinkt auf die Knie und blickt tief dankbar gen Himmel. Noch nie war die Apokalypse so nah.