Autofiktionale Perleaus der Metamuschel

Authentizität nicht als Stilmittel, sondern als Kernelement: Sarah Kohm inszeniert Jovana Reisingers autofiktionalen Roman „Enjoy Schatz“ im Studio der Schaubühne

Von Hilka Dirks

Wie zwei silbrige Weltrauminseln liegt das Studiobühnenbild dem Publikum im Halbdunkel zu Füßen. Jovana Reisinger betritt die Szenerie. Sie trägt einen klassischen Entertainer-Strassanzug, allerdings keinen seidenen Doppelreiher, sondern einen Sweatsuit-Traum aus Acryl: Es wird nicht der einzige Verweis des Abends auf Ästhetik und Klassenfrage bleiben. Reisinger gibt sich betont lässig, während sie sich vorstellt, cool die Handlung ihres Romans beschreibt, ihre eigene Motivation in den Kontext setzt und das Kommende einordnet: Angekündigt wird ein Abend voll Authentizität, „nicht als Stilmittel, sondern als Kernelement. Aber wird das bei Frauen nicht eh verwechselt?“. Entspannt lässt sie sich auf einer überdimensionierten Polly-Pocket-Muschel nieder und beginnt zu lesen. Soweit so gut.

Es folgen Licht, Musik, Handlung. Das von Bühnenbildnerin Lena Marie Emrich perfekt kopierte Plastikspielzeug, auf dem statt des Logos in geschwungenen Lettern „Enjoy Schatz“ prangt, öffnet sich und offenbart eine perlengleich schlafende Veronika Bachfischer in silbrigen Laken, die nach einem Prinzessinnen-haften Erwachen erst einmal das Sexspielzeug zur Seite räumt. Es ist Frühling, das steht auf einem Schild, es gibt ein Horoskop, das projiziert ein Beamer und den Rest, den erklärt Reisinger als Stimme aus dem Off, während sie sich ostentativ gelangweilt auf einem plüschigen Podest zwischen Bühnengarderobe und Lovehotel lümmelt, das sich neben der Muschel befindet.

Für die nächsten zwei Stunden folgen wir einer fein changierend spielenden Bachfischer in der Rolle der Schriftstellerin durchs Jahr in der Muschel: Von Frühling zu Frühling, beim Arbeiten, Lieben, Begehren und Begehrt-werden, beim Sich-selbst-finden und Analysieren diverser Gender- und Gesellschaftsdiskurse in der alten Ehe, mit dem neuen Liebhaber, durch eine miese Trennung und die finale Scheidung, in der leeren Wohnung mit großem Kummer und beim selbstermächtigenden Alleinsein und immer wieder beim Schreiben der Worte, der Kunst, während Reisinger, die Schriftstellerin der Schriftstellerin, die teils recht langen Monologe von der Seite kommentiert und einordnet.

Es ist der erste schauspielerische Auftritt der Autorin, die in der am Donnerstagabend uraufgeführten Theaterfassung ihres Romans „Enjoy Schatz“ – ja was oder wen eigentlich genau verkörpert? Sich selbst? Die Erzählerin? Moderatorin? Gastgeberin? Ihre eigenes Alter Ego? Das Spiel mit der Authentizität, es verfängt sich auf der Bühne zu einem unauflösbaren, klug verhedderten Knäuel. Reisinger, die neben ihren Romanerfolgen auch eine Single-Kolumne für die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt, inszeniert sich im Stück mit High-Heels, Cosmopolitans und Nude-Dress stilistisch als eine Art abgebrühte working class Carrie Bradshaw, Hauptfigur der US-amerikanischen 90er Jahre Kult-Serie „Sex and the City“, während sie die Aktivitäten ihrer eigens erschaffenen Figur fast paternalistisch gelangweilt überprüft. Selten entsteht dabei ein Dialog, doch es sind gerade diese Passagen, die dem Stück Dynamik verleihen, verhaften doch ansonst die Figuren sowohl räumlich als auch inhaltlich auf ihrem Standpunkt.

Die Bühnenpräsenz der beiden Darstellerinnen ist beeindruckend

Die Bühnenpräsenz der beiden Darstellerinnen ist beeindruckend. Doch während Bachfischer mit dem feinsinnigen und variantenreichen Repertoire ihrer (Körper)Sprache lange Strecken trägt, wird sie von Reisingers Coolness teils überstrahlt, ja fast abgewertet. Empathielos betrachtet die Autorin die von ihr erschaffene Figur, gibt ihr Ratschläge, ermahnt und ermuntert sie, meist zynisch anmutend durch Blicke, Worte, Gesten.

Das ist schade, nimmt es doch dem Text die Autorität. Als Bachfischer in einer wilden Restaurant-Szene überaus körperlich die Nerven über drei Fehlgeburten und 15 Austern verliert, die von Reisinger später als aus ihrem vorangegangenen Roman „Spitzenreiterinnen“ entnommen erklärt wird, betont die süffisante Entfremdung der Autorin zwar einerseits die psychologischen Mechanismen zur Abspaltung des eigenen Schmerzes, die sie selbst zu Beginn offenlegt. Andererseits wirkt es seltsam ironisch gegenüber dem eigenen Werk – oder dem Werk ihrer Figur? Oder dem Werk ihrer Figur in ihrem Werk?

Vielleicht liegt eben hierin der Zaubertrick des Stücks. Auch wenn kaum Neues zum sexpositiven und feministischen Diskurs ergänzt wird und sich die aufgerufenen Klischees teils abgenutzt anfühlen (Aldi-Champagner, erbende Künstler unterm Weihnachtsbaum ihrer Eltern), bedient sich Sarah Kohms Inszenierung doch so gekonnt und vielschichtig des Genres der Autofiktion, dass man als Zuschauende unmöglich nicht in eine der interpretatorischen Fallen tappen kann. Befriedigter Voyeurismus und selbstgerechte Überlegenheit werden hier von der selbsternannten performativen Tussi gleichermaßen clever wie gnadenlos aufgerufen und mischen sich zu einer unübersichtlichen und unterhaltsamen Auto-Autofiktion: Enjoy Schatz.

Nächste Vorstellung heute, 20.30 Uhr (ausverkauft), Schaubühne