die zukunft
: Neue Synergien

Foto:­ Da­vid Baltzer/bildbuehne.de

Früher wollten alle wissen, was sie erwartet, heute haben die meisten schon von der Gegenwart genug. Wir blicken trotzdem einmal im Monat ein weiteres Jahr voraus

Wir schreiben das Jahr 2060. Zeitreisende aus den finsteren 2020er Jahren – heute mit einer Mischung aus Fremdscham und Belustigung das „Zeitalter der fünf Sechstel Deppensmileys unter ‚Forschung-und-Wissen‘-Artikel über Hitzerekorde“ genannt – würden staunen: Man hängt die Wäsche nicht mehr zum Trocknen auf, sondern zieht sie nass an. Das spart Zeit und Mühe, wappnet gegen die hohen Lufttemperaturen und obendrein sitzt das Zeug dann viel besser. Es ist ein Quantensprung in der Entwicklung unserer Zivilisation.

Im Nachhinein ist es erstaunlich, wie spät die Menschheit auf die simpelsten Dinge kam. Sturheit und Rechthaberei verschleppten den Fortschritt. Hätte man zeitig genug die Kugelform der Erde anerkannt, wäre zum einen Galilei nicht verkloppt und der Inhalt seiner Aktentasche (Pausenbrot, Lineal, Filzstift) in die Gosse geleert worden, zum anderen wäre man nicht ständig falsch herum um die Welt gesegelt, nur um zu vermeiden, in einen bodenlosen Abgrund voller Giftmurkel und Zauselmolche zu stürzen.

Und hätte man nicht am 24. Juni 1386 den jungen Friedbert von Worms für den Diebstahl einer halben Schnitte Brot gehängt, hätte man damals schon Glühbirne und Waffeleisen anwerfen können, denn der clevere Knabe hatte das komplette Konzept Elektrizität bereits fertig im Kopf. So blieb es eben weitere 500 Jahre dunkel. Doch in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts ist die Dynamik zum Glück eine ganz andere. Weil auch die Akzeptanz für Veränderungen eine andere ist. Verkopfte Umstandskrämerei ist nicht mehr angesagt. Die Menschen sind offen gegenüber Neuerungen aller Art geworden – vieles wird nun wie selbstverständlich anders gemacht, als man es früher kannte. Flexibler noch dazu; erlaubt ist, was gefällt, was praktisch ist und was dem Individuum wie auch der Gemeinschaft dient.

So werden die schmutzigen Teller jetzt oft einfach mit der Vorderseite (!) nach außen (!!) in die Geschirrspülmaschine gestellt. Sie werden auf diese Weise nämlich genauso sauber wie traditionell platziert. Das Besteck wird ebenfalls nur irgendwie hinterhergeschmissen. Im Jahr 2060 geht praktisch alles, und die gesparte Energie wird frei für Konfliktlösungen, Kinder- und Katzenerziehung sowie Klimaschutz genutzt. Auch eine Bundespräsidentin, die stets ein frisches Spiegelei auf dem Kopf trägt, schlicht, weil sie es kann und weil sie es will, ist heute Gott sei Dank ein völlig normaler Anblick.

Uli Hannemann