Vorsichthalber lieber schießen

Die Polizei schießt einen Mann auf der Hamburger Reeperbahn nieder und rechtfertigt den Schusswaffeneinsatz als Vorsichtsmaßnahme. Die interne Ermittlung prüft den Fall

Eher zufällig in Mannschaftsstärke zugegen: Einsatzkräfte auf der Reeperbahn Foto: Bodo Marks/dpa

Von Gernot Knödler

Die Hamburger Polizei hat nach ihren Schüssen auf der Reeperbahn darauf hingewiesen, dass ihre Beamten darauf achten müssten, sich selbst zu schützen. Allgemein gelte: „Auch wenn ein Angreifer sich einer Waffe entledigt hat, bedeutet das nicht, dass er nicht trotzdem noch über weitere Waffen wie Messer verfügen könnte.“ Ein solches Risiko sei immer mitzudenken.

Im konkreten Fall überprüfe die Dienststelle für interne Ermittlungen, ob die Polizisten am Sonntag zu Recht schossen. Der angeschossene Mann sei in den frühen Morgenstunden aus dem Krankenhaus entlassen und in die Untersuchungshaft überführt worden. Ein Haftrichter entschied am Montagnachmittag, den Mann in der Psychia­trie unterzubringen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts des versuchten Totschlags und wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz.

Der 39-Jährige aus Buchholz in der Nordheide war am Sonntagmittag in St. Pauli vor Passanten und Polizisten mit einem Schieferhammer und einem Molotowcocktail herumgelaufen. Auf einem Video ist zu sehen, wie er versucht, ein Absperrgitter zur Reeperbahn hin zu überklettern, jedoch abgedrängt wird. Ein Polizist besprüht ihn mit Pfefferspray. Andere Polizisten halten ihre Pistolen im Anschlag.

Der Mann läuft weg, die Silbersackstraße hinauf, Polizisten in Uniform hinterher. In der rechten Hand hält er den spitzen Hammer, in der linken eine Flasche, in deren Hals so etwas wie ein Fetzen Stoff steckt. Einige Passanten wirken unbeteiligt, andere laufen weg. Ein Polizist in Zivil stellt sich dem Mann mit erhobenen Armen gegenüber, offenbar mit der Pistole im Anschlag, ein anderer schießt in die Luft.

Kurz darauf fallen mindestens fünf Schüsse. Der schwarz gekleidete Mann liegt bäuchlings auf dem Boden. Polizisten kümmern sich um ihn.

Ihre Einsatzkräfte hätten „unmittelbar die erforderliche Erste Hilfe geleistet“, teilte die Polizei mit. Nach Angaben des Krankenpflegers Ronald Kelm haben die Polizisten jedoch eine zufällig anwesende Intensivmedizinerin daran gehindert zu helfen, obwohl diese sich als solche zu erkennen gegeben habe. Stattdessen warteten die Beamten, bis „wenige Minuten später“ herbeigerufene Rettungskräfte zur Stelle waren.

Kelm koordiniert das Gesundheitsmobil, das Menschen ohne Obdach und Krankenversicherung kostenfrei medizinisch versorgt. „Dass man die Ärztin da nicht hingelassen hat, ist für uns sehr merkwürdig“, sagt er. Dabei hätte die sogar einen Notfallrucksack im Gesundheitsmobil gehabt. Sie wisse nichts von einer solchen Ablehnung, teilte die Polizeipressestelle mit.

Kelms subjektivem Eindruck nach hat die Polizei ziemlich konfus agiert. Diese war uniformiert in Mannschaftsstärke vor Ort, weil kurz zuvor rund 13.000 niederländische Fußballfans auf der Reeperbahn vorbeidefiliert waren. Es gebe aber „keinen Zusammenhang zur organisierten Fußballgewalt“, sagte Liddy Oechtering von der Hamburger Staatsanwaltschaft. Der Beschuldigte habe sich zu seinen Motiven nicht geäußert.

„Der Einsatz der Schusswaffe ist dabei die Ultima Ratio“

Polizei Hamburg

Die Polizei verweist darauf, dass es sich um eine „sehr dynamische Einsatzlage“ gehandelt habe, die glücklicherweise nicht zum Alltag gehöre. „Der Einsatz der Schusswaffe ist dabei die Ultima Ratio“, teilte die Polizei mit.

Im Video dauert der Vorgang vom Herumlaufen vor der Absperrung bis zu den Schüssen nur 15 Sekunden. Gegen Ende der Sequenz soll der Mann versucht haben, den Molotowcocktail anzuzünden. Das Hamburger Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) erlaubt den Schusswaffeneinsatz, um Vergehen zu verhindern, die „unter Anwendung oder Mitführung“ von Sprengstoffen begangen werden sollen, worunter auch ein Molotowcocktail fallen kann.

Dass die Polizei nicht versuchte, mit Schlagstöcken gegen den Mann vorzugehen, erklärte sie, wieder aufs Grundsätzliche verweisend, mit dessen „sehr kurzer Distanz“ beim Einsatz. Um sich selbst zu schützen gilt für Polizisten die Regel, sieben Meter Abstand zu halten, sobald ein Messer im Spiel ist, was in dem konkreten Fall jedoch nicht der Fall war.