Verlängerung der Straßenbahn M10: Anfang der 30er nach Neukölln

Die Verlängerung der Tramlinie 10 durch Kreuzberg bis zum Hermannplatz dauert noch länger. Das Projekt erzeugt Hoffnungen ebenso wie Ängste.

Zwei Straßenbahnen am Streckenende

Hier ist noch lange Schluss: Bisheriger Endpunkt der M10 an der Warschauer Straße Foto: IMAGO / Emmanuele Contini

BERLIN taz | Im Frühjahr 2018 schilderte der damalige Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner auf einer Bürgerveranstaltung im Neuköllner Reuterkiez den Planungsstand für eine Verlängerung der Straßenbahn M10 um rund 3 Kilometer, von der Warschauer Straße zum Hermannplatz. Das Projekt stieß schon damals bei manchen auf Begeisterung, bei anderen auf Skepsis. Letztere konnte der mittlerweile verstorbene Grünen-Politiker beruhigen: „Keine Sorge, ’n Quickie wird det nich.“

Kirchner ging seinerzeit davon aus, dass es noch 6 Jahre dauern würde, bis die Planfeststellung abgeschlossen sei – das wäre quasi jetzt. Später hieß es, die M10 werde bis Ende 2028 durch den Wrangelkiez und „Kreuzkölln“ rollen. Davon kann heute keine Rede mehr sein.

Gegenüber dem RBB hat die Verkehrsverwaltung jetzt bestätigt, dass im laufenden Jahr gerade einmal der Sprung von der Vor- in die Entwurfsplanung geschehen soll, bei dem die Trägerschaft des Projekts an die BVG übergeht. Das Haus von Senatorin Ute Bonde (CDU) rechnet nun mit einem Baubeginn im Jahr 2028 und einer Inbetriebnahme „voraussichtlich nicht vor 2031“.

Wer Berliner Verkehrsprojekte kennt, ahnt, dass auch dieses Ziel wieder wackeln wird. Zum Vergleich: Planung und Bau der – kürzeren – M10-Teilstrecke vom Hauptbahnhof bis zum U-Bahnhof Turmstraße, die im vergangenen September eröffnet wurde, nahmen 10 Jahre in Anspruch. Und auch wenn die vorgesehene Trasse in Kreuzberg und Neukölln weitgehend schnurgerade verlaufen wird, sind mit der Querung von Spree, Görlitzer Park und Landwehrkanal gleich mehrere anspruchsvolle Hürden zu nehmen.

„Im Großen und Ganzen super“

Im Rahmen der laufenden zweiten Runde der Bürgerbeteiligung fand am vergangenen Mittwoch im ehemaligen Umspannwerk am Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer ein sogenannter Infomarkt rund um die künftige Teilstrecke der „Partytram“ statt.

Auch hier zeigte sich: Ihren Fans, die sich auf eine flotte Direktverbindung von der Sonnenallee nach Friedrichshain und Prenzlauer Berg freuen, stehen AnwohnerInnen und Gewerbetreibende gegenüber, die weniger Platz in den zum Teil relativ engen Straßen befürchten und den Görlitzer Park nach seiner geplanten Einzäunung auch noch von einer „Zerschneidung“ bedroht sehen.

Positiv angetan von der Veranstaltung war die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Antje Kapek. Im Gegensatz zu anderen Beteiligungsformaten sei es möglich gewesen, direkt mit Verantwortlichen aus der Planungsabteilung der Verwaltung zu sprechen.

„Im Großen und Ganzen finde ich es super, dass die Planung vorangeht, auch wenn manches sich im Detail noch ändern muss“, sagte Kapek der taz. Sie halte die Verlängerung für „eine der überzeugendsten Infrastrukturmaßnahmen derzeit“, die das Zusammenwachsen der Stadthälften befördern werde.

Ängsten in diesem Zusammenhang müsse man begegnen, so Kapek. Tatsächlich biete die Tram aber auch viele Chancen, etwa weil die damit verbundene Belebung der Straßen die „Nischenkriminalität“ rund um den Görlitzer Park erschwere. Auch nähmen Konflikte ab, wenn ruhender Verkehr – sprich: ein Teil der Straßenparkplätze – wegfalle. Im Grunde sei eine Inbetriebnahme vor 2030 durchaus machbar: „Wenn Frau Bonde klug ist, wird sie das als Quick Win mitnehmen.“

Sorge vor Lärmbelastung und Unfallgefahr

Auf der Beteiligungswebsite mein.berlin.de, wo alle Interessierten noch bis kommenden Mittwoch die bestehende Vorplanung kommentieren und kritisieren können, haben sich naturgemäß vor allem jene verewigt, die Probleme mit dem Projekt haben.

„Wie kann man so verblendet sein und den Menschen, die im Wrangelkiez wohnen, so etwas antun?“, fragt ein Diskussionsteilnehmer angesichts der vorgesehenen Streckenführung durch die Kreuzberger Falckensteinstraße. Lärmbelastung und Unfallgefahr würden weiter ansteigen, die Visualisierung des Straßenquerschnitte sei „in keinster Weise maßstabgetreu“, für sichere Radwege werde es keinen ausreichend Raum dort geben.

Derselbe Kommentator beklagt, dass die Bäume am westlichen Straßenrand gefällt werden sollen, um die Straßenbahn in „Seitenlage“ hindurchführen zu können. Tatsächlich müssten auf der gesamten Strecke von der Oberbaumbrücke bis zur Endhaltestelle in der Urbanstraße mehrere Dutzend Bäume der Tram weichen. Etliche davon sind freilich klein und haben – wie auf dem Mittelstreifen der Sonnenallee – ohnehin kaum Platz, um sich zu entfalten.

Die Brücke hält nicht

Eine andere Person schreibt, sie sei „schockiert“, dass sich in den auf mein.berlin.de präsentierten Dokumenten kein Hinweis auf den notwendigen Abriss der Thielenbrücke findet. AnwohnerInnen müssten über lange Zeit große Umwege in Kauf nehmen, und „mir blutet das Herz, dass diese einzigartige Brücke mit den wunderschönen Lichtstelen trotz Denkmalschutz abgerissen werden soll“.

Tatsächlich hat die Senatsverwaltung bestätigt, dass die über 100 Jahre alte Brücke über den Landwehrkanal – wo die Glogauer Straße in die Panierstraße übergeht – der Straßenbahn nicht Stand halten würde und neu gebaut werden muss. Immerhin: Für die Oberbaumbrücke gelte das nicht.

Wie sich der südlichste Abschnitt der M10 in den 2030er Jahren einmal in der Praxis bewähren wird, steht auf einem anderen Blatt. Es wird vor allem davon abhängen, auf wie vielen Abschnitten sich die Tram ihre Trasse mit dem Autoverkehr teilen muss. Der dann drohende Kriechverkehrt lässt sich heute schon in der Invalidenstraße in Mitte oder der Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg beobachten. Auf Letzterer entstand vor einiger Zeit ein Youtube-Hit mit dem ironischen Titel „M10-Meditation – tiefenentspannt auf Achse“.

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