das wird
: Mit den Stimmen ganz realer Geister

Das NDR-Hörspiel „Dschinns“ bezaubert. Wie schon Fatma Aydemirs Roman balanciert es zwischen Dies- und Jenseits

Von Benno Schirrmeister

Manche Theaterstücke werden erst im Radio richtig gut. Das gilt ganz sicher für Selen Karas Dramatisierung von Fatma Aydemirs grandiosem Roman „Dschinns“. Sie läuft ab 19. Juni als Hörspiel im NDR und kommt dabei viel mehr zu sich selbst, als es auf der Bühne möglich war: Schon der Uraufführung in Mannheim war bescheinigt worden, zu wenig Theater und zu sehr Hörspiel zu sein. Das liegt weniger am mangelnden Geschick der Bearbeitung, denn an ihrem Respekt gegenüber der Vorlage. ­Aydemirs Roman nämlich zeichnet sich durch eine durch und durch realistische Erzählhaltung aus. Und trotzdem verleiht ihre Prosa der Geschichte der Familie Yılmaz, die der Roman aufblättert, ein geradezu spiritistisches Fluidum. Das kann sich in einem bilderlosem Medium viel besser entfalten als auf irgendeiner Schaubühne.

Denn Dschinns, die Titelfiguren, sind eindeutig uneindeutige Geister. Vielleicht ist es erst der Kontakt zu ihnen, der Menschen menschlich macht. „Wesen aus rauchlosem Feuer“ nennt sie der Koran, und sie sind eng verwandt mit dem, was eine säkulare Welt als Stimme im Kopf oder Bauchgefühl somatisiert. Die großartige Şiir Eloğlu spricht sie alle, und ihr glückt dabei eine tolle Balance zwischen Hauch und Präsenz, zwischen Anteilnahme und spöttischer Distanz, die durch die unterschiedlichen Mikrofonstandorte auch räumlich nachvollzogen wird. Jede Erzählstimme und jede lebendige Person des Stücks steht ja im Kontakt mit einem Dschinn. Vielleicht gilt das sogar für die rassistischen Bundespolizisten, die, wahrscheinlich weil die Uniformhose im Schnitt kneift, Hakan Yılmaz im fünften Kapitel auf der Autobahn stoppen. Nur bleiben ihre halt stumm: Allein schon Tilmann Strauß mit verkniffenem bayrischen Akzent das Wort „Atem-Alkoholtest“ sagen zu hören, lässt bestürzend tief in den leeren Abgrund blicken, den man beschönigend als deutsche Seele bezeichnet. Und angesichts dessen Hakan, der Widersborstige, der doch sehr wohl ein Bild von sich als starker Mann pflegt, verzweifelt. Glitzern da nicht Tränen der Wut und Resignation in der Stimme, die Hassan Akouch der Rolle leiht?

Ursendung „Dschinns“, Hörspiel von Florian Fischer nach dem Roman von Fatma Aydemir. Teil 1, 19. 6, Teil 2. 26. 6., jeweils 20-22 Uhr, NDR Kultur. Auch in sechs Teilen in der ARD-Audiothek

Ohne jede raunende Geheimnistuerei, ganz prosaisch hatte sich schon das Buch auf der Schwelle zwischen Dies- und Jenseits einen Erzählraum geschaffen: Es beginnt mit dem Tod des Familienvaters Hüseyin in Istanbul. Der hat sich dort, nach Jahrzehnten zermürbender, oft erniedrigender Arbeit in Deutschland eine Eigentumswohnung geleistet, mit Bosporus-Blick, das Ziel seines Lebens. Als er sie am ersten Tag seines Ruhestands stolz in Besitz nimmt, trifft ihn der Schlag: Vedat ­Enrincins Todesröcheln ist auf sehr gute Weise unangenehm. Mit seiner Beerdigung, die ungeschildert bleibt, sind alle Handlungsstränge verknüpft. Alle Familienmitglieder – migrantische und postmigrantische Generationen – sollen und wollen sich an seinem Grab versammeln. Fast keiner schafft‘s. Das ist komisch, obwohl es so unendlich traurig ist, und hat auch mit Rassismus zu tun, strukturellem und offenem, erfahrenem, und den bleibenden Wunden, die er schlägt.

Man müsste noch weiter über den Cast schwärmen. Aber dann bliebe kein Platz, um die raffinierte Charakteristik der Personen durch Dirk Dresselhaus‘ Komposition zu loben. Die ermöglicht auch den virtuosen Umgang mit Zeitebenen: Rückblicke und Epochenwechsel sind für Hörspiele eine besondere Herausforderung. Hier gelingt es, mit fast tänzerischer Leichtigkeit durch die gut fünf Jahrzehnte der Erzählung zu springen. Trotzdem bleiben die Hö­re­r*in­nen immer orientiert, werden Sie merken. Denn diese im Rundfunk auf zwei, im Podcast auf sechs Folgen aufgeteilte Produktion ist ein echtes Radioereignis, das lange nachhallt. Das sollten Sie nicht verpassen.