Blair will neue AKWs bauen lassen

Nur mit Kernkraft gelingt es, den Kohlendioxidausstoß entscheidend zu senken, glaubt der britische Premier

Die neuen AKWs sollen neben stillgelegten Anlagen gebaut werden. Das soll Proteste dämpfen

DUBLIN taz ■ Der Unfall in Sellafield hat Tony Blair einen Strich durch die Rechnung gemacht. Eigentlich wollte der britische Premier nach den gewonnenen Wahlen die Briten auf eine neue Generation von Atomkraftwerken einstimmen. Die Pläne dafür liegen seit Monaten in der Schublade, obwohl im Wahlprogramm davon keine Rede war.

Die Regierung glaubt, dass Atomkraft die einzige Möglichkeit ist, den Kohlendioxidausstoß zu senken. Bis 2010 soll er um 20 Prozent zurückgehen, aber das ist für die neuen Atomkraftwerke zu früh. Doch um das ambitionierte Ziel zu erreichen, bis 2050 den Ausstoß um 60 Prozent zu senken, komme man um Atomkraft nicht herum, glaubt Blair.

Der Premier hat vor zwei Monaten eine strategische Einheit gegründet, der John Birt vorsteht, einer von Blairs engsten Beratern. Er gilt als Befürworter von Atomkraft – ebenso wie der wissenschaftliche Chefberater der Regierung, David King. Die Einheit will im Sommer einen Bericht vorlegen, in dem nicht nur die Frage der Klimaveränderung erörtert wird, sondern auch die Bedrohung der Öllieferungen durch terroristische Anschläge. „Die Einheit stellt sorgfältig formulierte Fragen, um die Antworten zu erhalten, die sie haben möchte“, sagte ein Regierungsbeamter dem Independent.

Blair hat sich in den vergangenen zwölf Monaten mehrmals mit Vertretern der Atomindustrie getroffen, um über eine neue Generation von AKWs zu diskutieren. Großbritannien gehörte in diesem Bereich stets zu den Vorreitern: Der erste Reaktor, Calder Hall in Windscale, das nach einer Serie von Unfällen in Sellafield umgetauft wurde, ging bereits 1956 ans Netz. Seitdem sind weitere 18 Atomkraftwerke in Betrieb genommen und zum Teil wieder stillgelegt worden.

Aufgrund des Erstarkens der Umweltbewegung in den Achtzigerjahren wurden in Großbritannien seit 20 Jahren keine Atomkraftwerke mehr gebaut. Nun plant die Regierung, die neuen Anlagen neben alte, stillgelegte zu bauen. Dadurch, hofft man, werden die Proteste nicht ganz so lautstark ausfallen, weil die Anwohner bereits an die AKWs vor ihrer Haustür gewöhnt sind.

Innerhalb des Kabinetts sind Blairs Atompläne nicht unumstritten. Vor allem aus den Handels- und Umweltministerien kommen Forderungen, die erneuerbare Stromerzeugung stärker zu fördern. Sie werden sich aber kaum durchsetzen, da die Topriege der Minister die Atompolitik unterstützt. Lediglich die Frage der Finanzierung ist noch offen. Blair, so heißt es, bevorzuge eine Mischfinanzierung unter Beteiligung von Privatinvestoren. Denen müsste man jedoch langfristige Verträge und feste Strompreise garantieren, um ihnen das Geschäft schmackhaft zu machen. Die spätere Entsorgung der Anlagen bleibt ohnehin an den Steuerzahlern hängen.

Jean McSorley von der Umweltorganisation Greenpeace sagte: „Diese Pläne sind vollkommen daneben, sie sind keine adäquate Antwort auf die Klimaveränderungen. Aber die Atomindustrie hat seit einem Jahr eine immense Lobbyarbeit betrieben.“ RALF SOTSCHECK