Die Wahrheit: Sei die manifestierte Nudel

Oder das Nudelmanifest – ein neuer Psychotrend greift um sich: mit Pasta die Gedankenwelt empowern.

Farbiger Cartoon: eine Frau und ein Mann. Die Frau spricht in ein Handy rein: „Für Extensions musst Du Spaghetti nehmen. Und Peter hat seine Glatze mit Spirelli wegmanifestiert“

Illustration: Illu: Dorthe Landschutz

Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße. Gut, das war jetzt nur der erste Satz, und er ist außerdem praktischerweise geklaut, nämlich aus dem Blindtext (Sie wissen nicht, was das ist? Ein Text, der nicht sehen kann) dieser Zeitung.

Aber die Richtung stimmt schon mal: Ich denke positiv. Glaubt man den neuesten Mental-Trainer-Guru-Wesen (er/sie/es), sind es nämlich meine Gedanken, und nur die, die die Welt bewegen. Also in meine Richtung. Ich muss sie nur „manifestieren“. Also, äh, die Gedanken jetzt, nicht die Welt. Die bewegt sich schließlich von selbst. Oder, Moment, doch am Ende nur durch meine Gedanken? Kann ich die Welt auch anhalten? Augenblick, verweile! Ich probiere das mal.

Ah, na gut, funktioniert nicht. Glück gehabt! Also weiter im Text. Durchs Manifestieren sollen Wünsche präzise ausgedrückt und visualisiert werden, als wären sie bereits Realität: Einen begehrten Parkplatz unmittelbar vor der Haustür finden, die Traumfrau (sie/ihn) erwerben oder die begehrte Deutsche Meisterschaft ergattern – all das angeblich im Handumdrehen.

Aber ist diese Methode tatsächlich wirksam?, fragt zum Beispiel jedenfalls so ähnlich der Stern unter einem Video zum Thema, das dann lediglich meldet: „Es tut uns leid, aber der Inhalt kann nicht abgespielt werden.“ Dabei habe ich mir das so sehr gewünscht, ja, geradezu vorgestellt, das Video sehen zu können! Ich habe es doch so gut visualisiert! Hm, so einfach scheint das alles doch nicht zu gehen mit dem Manifestieren. Irgendetwas fehlt da noch, eine Spezialzutat vielleicht, so etwas wie – exactamente: Nudeln.

Denn genauso titelte neulich die Brigitte. Unter der Überschrift „Pasta, Pasta! Überraschend neue Nudel-Ideen“ kam auch gleich die Schlagzeile: „Psycho-Trend Manifestieren. Wenn das Wünschen wieder hilft“. Wenn das Freud noch lesen könnte!

Quatsch mit Soße

Tatsächlich ist #manifesting ein Megatrend, er trendet einfach überall, im ganzen weltweiten Netz, da hat sich in Silicon Valley oder bei der Telekom wirklich jemand einmal voll was gewünscht. Perfekt geschminkte, normschöne junge Frauen normerzählen von den atemberaubenden Erfolgen, die sie durch die Praxis des Manifestierens erzielt haben: Mit dieser Methode rücken sämtliche Lebensträume in greifbare Nähe und überhaupt wird alles möglich … Wenn da nur die nudellose Realität nicht wäre.

Denn natürlich geht es nicht darum, sich einen Zweitwagen zu wünschen oder ein Date mit Ed Sheeran (wir/ihr/sie) oder gar den Weltfrieden, sondern es geht darum, die Zukunft zu einem besseren Kimono zu machen. Ah nein, schon wieder falsch! Ort! Ort. Ort ist das Wort. Die Zukunft zu einem besseren Ort machen. So. Oder ist das mit der Zukunft eh nur Quatsch mit Soße? „Überraschend neue Nudel-Ideen“ können, so nicht nur die Trendzeitschrift Brigitte, einen Ausweg aus den Polykrisen der Jetztzeit zeigen. Nudeln sind nämlich der neue Kaffeesatz: Einfach mal gut hochkochen und im Sieb nach Bedeutung fischen.

Polykrisen! Wat et nich allet so jibt heutzutage! Ja, schauen wir mal dem Netzvolk aufs Maul: „Ich persönlich manifestiere schon seit 30 Jahren in Intervallen von rund 10 Jahren. Dabei sind alle notierten Wünsche Realität geworden“, schreibt zum Beispiel HansimGlück24 auf chefkoch.de und mit demselben Wortlaut – muss was mit Proklamation zu tun haben – auf habenichtmehralleaufderpfanne.org. Ein Eso-Emo findet: „Ich wünsche mir das micky maus und super mario zu mir kommt und wohnt.“ Kein Problem, man muss nur wollen! Und zwar feste!

Scarlet Rigatoni

Also manifestieren auch wir mal lustig drauflos. Wünsche aufschreiben, Wasser aufsetzen, salzen, zur Rigatoni-Packung greifen, reinschütten, kochen lassen. Zum Sieb greifen, ausschütten, abtropfen lassen, fertig. Man muss sich das Pasta-Festessen nur manifeste genug vorstellen, dann klappt das auch! Sieht das eine Rigatono nicht schon wie Scarlett Johannson aus? Siehste, Rotkäppchen, Märchen können doch wahr werden. Du kannst mich jetzt übrigens wieder loslassen.

Aber jetzt mal Butter bei die Nudeln, damit die nicht so kleben. Wie geht das wirklich, dieses Manifestieren, und was passiert, wenn das Objekt meiner Begierde sich gleichzeitig etwas anderes wünscht, zum Beispiel, nichts mehr mit mir zu tun zu haben?

Da wäre zuerst die Visualisierung: Der Vorgang des Manifestierens beginnt damit, sich das Gewünschte so konkret wie möglich vorzustellen. Das Tor, das ich im EM-Finale für Deutschland schieße, obwohl ich gar nicht nominiert bin. Das Liebesgeständnis, das mir die eine aus der Buchhaltung macht. Das Pferd, dem ein Einhorn wächst. Die Arschkrampe von Chef, der eines Morgens umkommt, weil jemand in seinem klapprigen Fiat eine Autobombe installiert hat. Ach, die Wünsche können so endlos und mannigfaltig sein!

Dann käme die Proklamation: Des Weiteren gehört zum Manifestieren meistens auch ein Sprechakt: Das Gewünschte soll laut artikuliert (oder alternativ auf ein Stück Papier aufgeschrieben) und ständig wiederholt werden – und zwar nicht einfach als ein unerfülltes Bedürfnis, sondern im Sinne einer Proklamation, welche den Besitz des Gewünschten schon antizipiert.

Ich werde reich

Und schließlich, wir kennen das von dem Uralt-Trend Autosuggestion, die Suggestion: Die Manifestierenden versuchen sich so zu fühlen und zu verhalten, als ob sie die erbetenen Güter bereits erhalten hätten – oder besser: Sie leben im Bewusstsein, dass ihr Wunsch bereits Wirklichkeit geworden ist.

Und dann braucht es noch etwas Parmesan.

Aber jetzt mal ernsthaft, Leute, was soll das alles? Wollt ihr wirklich alles haben, was ihr euch wünscht? Heißt das System dahinter nicht Kapitalismus? Schön immer was wünschen und dann nichts bekommen, aber immer gut weiter danach streben? So läuft das auch mit der Manifestation. Gut, hier und da werden Erfolge kommen – ganz so wie im echten Leben. Wenn da immer nur Nieten gezogen werden, hat man schließlich auch keine Lust mehr irgendwann und wählt AfD oder macht sonst was Schlimmes.

Eigentlich ist Manifestation nämlich gar nicht so gut. Nach ungefähr Freud bedeutet Manifestation nämlich die Erkennbarwerdung von latenten Erkrankungen. Oje, Schmerz! Aus Sicht der Psychoanalyse bezeichnet Manifestation das Auftreten von körperlichen oder geistigen Störungen als Ausdruck verdrängter Komplexe. Haha, gotcha!

Da lieber einfach bei den Nudeln bleiben. Glaubt einfach weiter an das Spaghettimonster. Das wird euch den Weg schon weisen. Amen.

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