Der Ampelfrust schlägt durch

Die SPD sackt bei den EU-Wahlen noch unter ihren historischen Tiefstwert von 2019. Die FDP muss die kleinsten Verluste der Ampelparteien verschmerzen

Von Anna Lehmann
und Cem Güler

Für die SPD gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Die Zeiten, als man nach einem schlechten Wahlergebnis das Spitzenpersonal vom Hof jagte, sind vorbei. Obwohl dieses EU-Wahlergebnis früher dazu eingeladen hätte. Rund 14 Prozent der WählerInnen gaben der SPD laut ersten Prognosen am Sonntag ihre Stimme. Das ist – wohlwollend gesagt – stabil schlecht.

Die erste Reaktion im Willy-Brandt-Haus: Schweigen. Als die beiden Parteivorsitzenden und Spitzenkandidatin Katarina Barley vor die wartenden GenossInnen und die Presse traten, überboten sie sich geradezu in Negativattributen: Das Wahlergebnis sei bitter, enttäuschend, frustrierend. Man hatte deutlich mehr erwartet. Welche Konsequenzen man daraus zieht, wird intern besprochen. Eine aber lässt sich schon erahnen: „Die Leute wollen uns kämpfen sehen“, so Parteichef Lars Klingbeil. Das gelte auch für die Haushaltsverhandlungen.

Das Wahlziel war intern deutlich höher gesteckt. Schon vor fünf Jahren erreichten die Sozialdemokraten mit 15,8 Prozent ihr niedrigstes Wahlergebnis bei einer EU-Wahl. Kurz darauf quittierte die damalige Parteivorsitzende Andrea Nahles den Dienst und stürzte die Partei in eine schwere Krise. Mittlerweile ist die SPD so geschlossen, dass sie dieses Ergebnis erst mal wegstecken dürfte. Eine interne Debatte über die richtige Strategie für die Bundestagswahl und Olaf Scholz als gesetzten Spitzenkandidaten dürfte dennoch folgen.

Und damit zur schlechten Nachricht: Liest man das Wahlergebnis als Stimmungstest für die Bundestagswahl, dann sind die Aussichten, dass die SPD erneut stärkste Partei wird, derzeit mau. Dabei hatte sich die Parteiführung früh darauf festgelegt, neben Spitzenkandidatin Barley großflächig auch den Kanzler zu plakatieren. Fortan gab es kaum eine Verkehrsinsel, auf der Barley und Scholz nicht zweidimensional präsent waren und „Frieden“ oder einen „Klaren Kurs in stürmischen Zeiten“ versprachen. Dass der Kanzler Anfang Juni seine Zustimmung erteilt hatte, dass die Ukraine mit westlichen Waffen nun doch Ziele in Russland angreifen darf, mochte diesen „klaren Kurs“ für Feinschmecker etwas schlingernd erscheinen lassen.

Zum Wahlkampfabschluss am Samstag in Duisburg kamen die geballte SPD-Prominenz inklusive Scholz und Barley. Auch hier versprach Scholz noch einmal, dass es mit ihm keine Nato-Soldaten in der Ukraine geben werde. Von der gleichen Bühne erteilte Scholz auch einer Erhöhung des Renteneintrittsalters eine Absage. Beileibe kein Thema, das auf europäischer Ebene verhandelt wird.

Die FDP kam laut der ersten Hochrechnung auf 4,9 Prozent und kann damit ihren Wert von den EU-Wahlen 2019 mit leichten Verlusten halten – damals lag die Partei bei 5,4 Prozent und zog mit 5 Abgeordneten ins Europäische Parlament. Mit diesem Ergebnis wären die Liberalen die Kraft in der Ampel, die bei den EU-Wahlen am wenigsten Stimmen verloren hätte. Die FDP hatte mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann ihre profilierteste Politikerin als Spitzenkandidatin für die europäischen Liberalen ins Rennen geschickt. Sie wurde am Sonntag mit langem Applaus in der FDP-Parteizentrale in Berlin empfangen. „Es ist ein guter Abend für die Freien Demokraten“, rief sie dort ihren An­hän­ge­r*in­nen zu.

Noch ist es viel zu früh, eine „Kanzlerdämmerung“ zu verkünden. Die „Ampelmüdigkeit“ lässt sich aber schon seit längerer Zeit im Umfragen konstatieren und wurde nun bei der ersten bundesweiten Wahl seit 2021 offiziell bestätigt.