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: Vom anstrengenden Yuppie-Leben und dem Chaos im eigenen Kopf

Es ist schon seltsam: Immer wieder erweist sich ausgerechnet die Halle Kalk als das Schatzkästchen der Bühnen Köln. Fast immer ist es fest verschlossen, doch wenn es sich mal öffnet, glitzern drinnen kulturelle Diamanten. Jüngster Beweis ist die zweite Premiere der Tanzcompany von Amanda Miller, Kölns mit Spannung erwarteter Neuerwerbung in Sachen Ballett. Zur Aufführung kamen drei Choreografien aus den Jahren 1988 bis 1997 – und siehe da: Wieder einmal wurde die zwischen alten Schornsteinen und neuen Einkaufszentren versteckte Fabrikhalle zum Schauplatz qualitativ hochwertiger Bühnenleistungen.

Dieser Abend überzeugt mehr als Millers allzu poetische Interpretation des Shakespeareschen „Sommernachtstraums“ im Schauspielhaus. „Pretty Ugly“, die erste der drei Choreografien, entstand 1988 für das Ballett Frankfurt, vier Jahre später diente sie als Namensgeber für Amanda Millers eigene Truppe. Das Stück reflektiert die aufgemotzten Achtziger, spielt mit der nervösen Ästhetik amerikanischer Großstadtszenen und japanischer Cartoons.

Auf schwarzer Bühne rennen fünf TänzerInnen im Yuppie-Outfit zu treibenden, stampfenden Pseudo-Punk-Rhythmen hin und her. Schnell tanzen sie, phantasievoll und raumgreifend, bewegen sich mal wie willenlose Hampelmänner, mal wie wütende Stiere durch ihr anstrengendes Yuppie-Leben, bekämpfen und verfolgen einander, fallen und werden wieder aufgescheucht, formieren sich zu Tänzerreihen wie in der Revue, gleichgeschaltet und ferngesteuert. Witzig und sehr ironisch ist diese Arbeit, die parallel zur kraftvollen Musik einen enormen tänzerischen Drive entwickelt.

In „Paralipomena“ (1996) verbindet Amanda Miller übrig gebliebene Reste anderer Tanzstücke zu einem von ihr selbst vorgetragenen Solo. Auf intime Weise und zu sehr verhaltener Musik setzt sie sich mit ihrem choreografischen Alltag auseinander. Wieder sind Schritte und Bewegungen äußerst expressiv, strecken sich Arme und Beine weit in den Raum hinein, stoßen sich an einem Rahmen aus Licht, der den Spielraum absteckt und die Bedingungen aufzwingt. „Paralipomena“ ist eine Choreografie des Tastens und Testens, des Suchens und Probierens an der Grenze des Lichtkreises, im ständigen Kampf mit dem inneren Schweinehund.

Mit „Four for Nothing“ von 1997 hat Amanda Miller zu ihrem aktuellen, die Sprache stark integrierenden Stil gefunden. In dieser Choreografie geht es um Ordnung und Chaos im Kopf und auf der Bühne, um die Schwierigkeit, sich anzupassen und doch seinen individuellen Ausdruck zu finden. Zur strengen musikalischen Vorgabe der Brandenburgischen Konzerte von Johann Sebastian Bach tanzt das Ensemble anmutig, harmonisch, fast höfisch in unterschiedlichen Formationen. Doch Ordnung und Strenge werden immer wieder konterkariert. Durch einzelne Tänzer, die wie Wirbelwinde über die Bühne fegen und die gemessen agierenden KollegInnen aus dem Konzept bringen, vor allem aber durch die Sprecherin Kate Strong. Sie ist das personifizierte Chaos. Eine Allegorie der Unordnung inmitten Bachscher Ordnungsliebe.

Während bei den TänzerInnen kraftvolle Musik und gezielte Bewegung zu synästhetischer Einheit verschmelzen, brabbelt Kate Strong vor sich hin, assoziiert herumwuselnd Dieses mit Jenem, ent- und verwirft quasselnd Bilder, ist spielerische Kreation inmitten tänzerischer Perfektion. Das ist geistreich, sieht gut aus und macht Lust auf mehr. Vielleicht ja wieder in der Halle Kalk, wo sich Kölns „kleine Theaterwunder“ offenbar mit Vorliebe abspielen. HOLGER MÖHLMANN

Pretty Ugly/Paralipomena/Four for Nothing, Halle Kalk, Neuerburgstraße, Tel. 221-28 400, 31.05., 02./03.06., Beginn jeweils 20 Uhr