berliner szenen
: Ein damenloses Gepäckstück

Gestern fuhr ich mit dem Fahrrad von der Hauptstraße auf einen kurzen Radweg, den sich in der Praxis Fußgänger und Fahrradfahrende teilen. Also fuhr ich langsam diesen Abschnitt entlang, als ich eine Handtasche neben einer Sitzbank entdeckte. Ich bremste, stieg von meinem Fahrrad ab und blickte auf die braune, lederne Handtasche, die bestimmt einer alten Frau gehörte, zumindest trugen ein solches Modell sehr oft alte Frauen. Meine Oma hatte auch so eine, kam es mir in den Sinn, als ich gerade die Tasche aufhob.

„Stopp“, hörte ich plötzlich eine Frauenstimme. Ich drehte mich in die Richtung, aus der die Stimme kam, und sah zwei alte Frauen auf einer anderen Bank sitzen. „Lassen Sie die Tasche liegen!“ Sah ich wirklich wie eine Diebin aus?, fragte ich mich. Ich wollte doch nur helfen. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, eine fremde Tasche zu stehlen, die auch noch so aussah, als würde sie meiner Oma gehören, wenn sie denn noch leben würde. „Ich will die Tasche nicht klauen“, erklärte ich den alten Damen. „Aber wenn ich sie hier einfach liegenlasse, wird sie bestimmt gleich wirklich geklaut.“ Die Frauen musterten mich kritisch und ich lächelte übertrieben freundlich, damit sie mir meine Worte abkauften. Ich vereinbarte mit den Frauen, dass ich die Tasche in dem Café abgebe, das sich genau hinter den Sitzbänken befand. Und wenn die beiden Frauen eine Frau sehen sollten, die nach einer Tasche sucht, dann sollten sie sie ins Café schicken.

Als ich die Tasche abgegeben hatte und mein Fahrrad aufschloss, blickte ich zu den beiden Frauen, die mir verschwörerisch zunickten. Die Aufgaben waren verteilt. Ich hatte die Tasche im Café abgegeben und sie würden sicherlich noch einige Stunden auf dieser Bank bleiben und immer mal wieder da hinschauen, wo eben noch die Tasche lag. Eva Müller-Foell