die richtlinie des tages
: Wie niedrig der Stundenlohn sein darf

Wie viel ist eine Arbeitsstunde wert: 14 oder 15 Euro? Oder doch nur 12,82 Euro? In Deutschland wird über die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns gestritten. Gewerkschaften, Grüne und Linke, ja selbst Olaf Scholz, wollen eine Untergrenze von 15 Euro. CDU und FDP sind gegen eine solche politische Festlegung. Denn es gibt ja noch die Mindestlohnkommission, und die hat festgelegt, dass der Mindestlohn von derzeit 12,41 im nächsten Jahr um – Haltet euch fest! – 41 Cent auf 12,82 steigt. Na gut, die ArbeitgeberInnen haben das Ar­beit­neh­me­rIn­nen­la­ger einfach überstimmt.

Doch warum streiten? Eigentlich gilt schon seit 2022 die EU-Richtlinie über „angemessene Mindestlöhne“ (2022/2041). Die besagt, dass der Mindestlohn rund 50 Prozent des durchschnittlichen Bruttolohns oder 60 Prozent des Medianlohns in dem jeweiligen Land entsprechen sollte. In Deutschland wären das rund 14 Euro. Die Mitgliedsländer sollen die Richtlinie bis Mitte November umsetzen. Es könnte so einfach sein: Deutschland macht mit, und von der SpargelstecherIn bis zur ErdbeerverkäuferIn sind alle zufrieden.

Aber so einfach ist es nicht. Denn die Richtlinie gibt leider nur Richtwerte vor; ob und in welcher Höhe ein gesetzlicher Mindestlohn gilt, liegt weiterhin in der Hand des jeweiligen Landes. Für die SPD-Europaabgeordnete Gabi Bischoff steht dennoch fest: „Deutschland muss die Mindestlohn-Richtlinie umsetzen.“ In den Niederlanden und Irland sei der Mindestlohn zuletzt um über 12 Prozent erhöht worden – in Deutschland waren es 3,4 Prozent, so Bischoff zur taz. Kroatien, Zypern und Estland nähmen die Richtwerte der Mindestlohn-Richtlinie als Maßstab für die Bestimmung der Höhe des Mindestlohns. Bulgarien habe den Wert von 50 Prozent des Durchschnittslohns gesetzlich festgeschrieben. Bischoff findet: „Aus europäischer Sicht hinkt die Debatte in Deutschland ziemlich hinterher.“ Anna Lehmann