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Uli Hannemann Liebling der MassenHier außen hui und innen pfui, da umgekehrt

Foto: Regentaucher

Mein weltweit größtes Idol ist im Grunde mein Zahnarzt, der mit dem Rücken zur Wand des irdisch Machbaren heldenhaft um meine Zähne kämpft. Denn die sind buchstäblich Brückenköpfe, die um keinen Preis fallen dürfen: Wo die Basis verloren geht, um erst Kronen und dann Brücken zu verankern, gerät der ganze Müll haltlos ins Rutschen, und irgendwann entlarvt sich das über Jahre mühsam in ein Gleichgewicht des Schreckens tarierte Gebiss als unhaltbares Lügenkonstrukt.

Es geht auch anders. Erst kürzlich habe ich ein aktuelles Bild von Iggy Pop gesehen: eine Fresse, eine Haut, einen Körper wie ein fünf Jahre im Keller vergessener Schrumpelapfel von so einer uralten Wildsorte, die man aus guten Gründen nicht mehr anbaut, jedoch wahnsinnig gute Zähne – morgens, mittags, abends Aronal und Elmex. Ich bin praktisch ein Negativ von Iggy Pop, mit meiner einerseits apollinisch ebenmäßigen Supraästhetik, doch dafür eben krass beschissenen Zähnen. Wir zwei, Iggy und ich, Icke und Icky. Hier außen hui und innen pfui, da umgekehrt.

Einmal hat mein Zahnarzt einen wunderschönen Satz gesagt. Der Kontext war folgender: Ich hatte damals Probleme mit einer Altlast seines Vorgängers. Unter einem eigentlich längst wurzelgetöteten und überkronten Zahn, rottete, in zugegebenermaßen tückisch verwinkelten Wurzelkanalenden, der Pfusch noch leise vor sich hin. In diese tiefsitzende Entzündung hinein musste der Neue nun mühsam nacharbeiten, um hoffentlich den Rest der Zahnsubstanz zu erhalten.

Zu Beginn jeder Sitzung wurde die Stelle ausgiebig betäubt. Doch für die spezielle Komplikation noch nicht gründlich genug. Der Restnerv grüßte aus der Hölle und ließ mich leise jodeln. Mein Zahnarzt ist zum Glück nicht so ein Fakirtyp, sonst würde ich da auch nicht mehr hingehen. Ich kotze nämlich schon, wenn ich nur die einschlägigen deutschen Redensarten höre: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, „Schnauze, du Sau“, und „Was dich umbringt, macht mich stärker“. Was soll das denn, sind wir im Krieg oder bin ich Reinhold Messner?

Dabei ist die Sache doch so einfach. Der Patient schreit und weint, zappelt, zittert und schlägt um sich. Ein seriöses Arbeiten wird dem Zahnarzt dadurch deutlich erschwert. Wozu also Folterknecht spielen, es sei denn, es handelte sich um einen sadistischen Verbrecher, dem es teuflisches Vergnügen bereitet, Menschen, Tieren oder Pflanzen Schmerzen zuzufügen.

Doch zum Glück ist mein Zahnarzt kein solcher Unhold. Großzügig legte er nach, im Dienste des Patienten und der Menschlichkeit. Immer noch Aua. Nächste Spritze. Warten. Aua. Und dann kam der Satz: „So jetzt reicht’s, Herr Hannemann, ich spritz Sie jetzt tot!“

Genau mein Humor. Zufrieden schmunzelnd lehnte ich mich zurück. Keine Schmerzen, keine Angst, stattdessen nichts als warme Geborgenheit. „Herr Hannemann, ich spritz Sie jetzt tot“, hatte für mich in dem Moment denselben zarten Klang, wie „Der Kaffee ist fertig“, „Alles wird gut“, oder „Magst du noch ein Schokoladenbärchen aus dem Schokoladenbärchenbus?“.

Im Nachhinein bewundere ich ihn für sein Fingerspitzengefühl. Denn gerade gegenüber Fremden braucht man schon ein verdammt gutes Gespür dafür, welcher Spruch geht und welcher nicht. Schließlich befinden wir uns gerade mitten in der „Eulenspiegelzeit“, einer Epoche des Alles-wörtlich-Nehmens. Egal, ob aus vorgespielter Opferpose oder wirklicher Not würde sich garantiert wieder irgendein Patient getriggert fühlen und empören. Der jahrelange Mordprozess führt am Ende mindestens zum Entzug der Approbation. Wer da noch einen Witz riskiert, hat meinen vollsten Respekt.

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