Wenn der Gewalttäter wieder Zugang hat

Fachleute warnen davor, gewalttätigen Elternteilen Umgang mit ihren Kindern zu erlauben. Das könne neue Gewalt auslösen. Bremer Behörden wollen das Problem nicht untersuchen

Nicht immer bleibt es bei bösen Blicken wie hier im Fernsehfilm „Unser Kind“ von 2018 Foto: Martin Valentin Menke/dpa

Von Eiken Bruhn

Vor neun Jahren fand die Polizei eine 44-jährige Frau stranguliert in ihrer Wohnung in der Bremer Neustadt. Dringend tatverdächtig war und ist der Vater ihrer zwei Kinder, damals vier und sieben Jahre alt. Im März 2015, wenige Tage nach der Tat, flog er mit den Kindern in die Türkei, seitdem wird erfolglos nach ihm gefahndet. Er sei weiter flüchtig, bestätigte am Donnerstag die Staatsanwaltschaft Bremen. Vor der Tat, so hatte es ein Sprecher der Sozialbehörde der taz geschildert, hatten sich die Eltern im Jugendamt getroffen, um über die schwierige Sorgerechts-Konstellation zu sprechen. Denn das Mädchen lebte beim Vater, der autistische Junge bei der Mutter.

Um den Kontakt zu ihrer Tochter nicht zu verlieren, hatte die Frau eine vom Amtsgericht verfügte Gewaltschutzverordnung gegen ihren gewalttätigen Ex-Partner aufheben lassen. So durfte er sich wieder ihr und ihrer Wohnung nähern. Am 13. März wurde sie das letzte Mal lebend gesehen.

Dieser Fall taucht nicht auf in der Antwort des Bremer Senats auf eine parlamentarische Anfrage der SPD-Fraktion zum „Schutz von Müttern vor Gewalt in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren“. Denn der Senat hat dafür nur die Fälle der vergangenen fünf Jahre untersuchen lassen, bei denen jemand eine Frau aufgrund ihres Geschlechts umgebracht oder es versucht hat. Zwölf Ermittlungsverfahren habe es in diesem Zeitraum gegeben, in keinem habe ein Zusammenhang zu Besuchskontakten zwischen Vätern und Kindern bestanden, heißt es in der Antwort.

Weitere Daten zu Gewalt gegenüber Frauen in diesem Kontext jenseits von Mord und Totschlag würden nicht erhoben, weder von der Polizei noch vom Jugendamt. Das sei auch nicht notwendig, schreibt der Senat, weil sich „nach Wahrnehmung“ der Staatsanwaltschaft „bei Besuchskontakten zwischen Vätern und Kindern keine relevante Häufung von Fällen von Gewalt gegenüber Müttern“ ergebe. Bekannt sei, dass Gewalt häufig in Trennungsphasen verübt werde.

Fachleute kommen zu einer anderen Einschätzung. Das Risiko sei auch in Zusammenhang mit Umgangs- und Sorgerechtsverfahren „besonders hoch“, schreiben beispielsweise Monika Schröttle und Maria Arnis in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. Beide forschen am Institut für empirische Soziologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zu Gender und Gewalt.

In dem Beitrag heißt es auch: „In der gängigen Praxis der Familiengerichte wird der Schutz von Frauen (und ihren Kindern) vor Gewalt häufig unzureichend beachtet und die Durchsetzung des Umgangs- und Sorgerechtes für gewalttätige Väter priorisiert.“ Das hatte auch die unabhängige Grevio-Kommission im Auftrag des Europarats moniert, die die Umsetzung der 2017 von Deutschland ratifizierten Istanbul Konvention untersucht hatte. Dieser Vertrag verpflichtet die Mitgliedsstaaten dazu, Frauen und Mädchen effektiv vor Gewalt zu schützen.

Die Kommission fordert in ihrem Bericht aus dem Jahr 2022 daher deutsche Behörden dazu auf, alle in Umgangs- und Sorgerechtsfälle involvierten Fachkräfte so zu schulen, dass sie sich der „negativen Auswirkungen von Gewalt eines Elternteils gegen den anderen Elternteil auf Kinder gebührend bewusst sind“. Zudem müssten sie Verfahren entwickeln, mit denen überprüft wird, ob es Gewalt eines Elternteiles gegen einen anderen gab und was daraus folgte. Das schließt ausdrücklich Rich­te­r:in­nen ein, die gegen den Willen von Mutter und Kind Umgang mit einem gewalttätigen Vater anordnen können. Dass sie dies nicht nur in seltenen Einzelfällen tun, hatte 2022 der Norderstedter Soziologe Wolfgang Hammer anhand einer Fallsammlung dargelegt.

Der Bremer Senat handelt das Thema in seiner Antwort kurz ab. Anders als Po­li­zis­t:in­nen würden Rich­te­r:in­nen nicht regelhaft zu dem Themenkomplex geschult, die Entscheidungspraxis der Familiengerichte zu untersuchen, verletze die Unabhängigkeit der Justiz. Die Grevio-Expert:innen appellieren hingegen „nachdrücklich“ an die deutschen Behörden, die Rechtspraxis zu analysieren.

In einer Fußnote verweist die unabhängige Kommission darauf, „dass Umgangsregelungen für die Fortdauer körperlicher und emotionaler Misshandlungen von Kindern und Frauen von Bedeutung sein können, selbst wenn ein hohes Maß an Überwachung gegeben ist; dass der Umgang mit Kindern häufig die intime Beziehung als Instrument der Männer zur Kontrolle von Frauen ersetzt, wodurch der Umgang mit Kindern zu einer Form der Gewalt nach einer Trennung werden kann“.