Grüne sind schon wieder nur Kellner

Der Kanzler will erst am 1. Juli sagen, wie er sich die Vertrauensfrage und damit den Weg zu Neuwahlen vorstellt. Die Grünen sind erneut düpiert, aber sie bemühen sich um Fassung. Auch im SPD-Präsidium gibt es Widerspruch zu Schröders Plänen

VON HANNES KOCH, JENS KÖNIG
UND ULRIKE WINKELMANN

Zum zweiten Mal in kürzester Zeit hat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Grünen kalt erwischt. Während gestern Vormittag der grüne Parteirat in Berlin tagte, wurde eine Meldung in den Raum gereicht. Inhalt: Schröder will erst am 1. Juli im Bundestag verkünden, wie er sich den Ablauf des für diesen Tag geplanten Misstrauensvotums gegen ihn vorstellt.

Regierungssprecher Béla Anda sagte dazu, der Kanzler werde vorher mit SPD-Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering über den Weg zu Neuwahlen sprechen. Dabei sei sichergestellt, dass nichts an die Öffentlichkeit dringe.

Erst der Coup mit den Neuwahlen, jetzt höchste Geheimhaltungsstufe für das Verfahren – die Grünen hatten gestern Mühe, sich zu diesem neuerlichen Egotrip Schröders zu verhalten. Vizekanzler Joschka Fischer erklärte protokollarisch korrekt: „Das ist eine Entscheidung des Kanzlers.“ Parteichef Reinhard Bütikofer verwies auf die Koalitionsrunde heute früh und behauptete, hier werde Rot-Grün sich abstimmen. Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck bezeichnete das Vorgehen im Parteirat als „vernünftig“. Andere befürchteten eine „Hängepartie“ von einem Monat – und eine Einladung an Union und FDP, die Entscheidungsschwäche von Rot-Grün zu kritisieren.

Auch das Wahlprogramm der Grünen, an dem seit gestern unter Vorsitz des Wahlkampfkoordinators Fritz Kuhn bereits gefeilt wird, dürfte wenig öffentliches Interesse genießen, solange der Weg zur Vertrauensfrage unklar ist. Schröder braucht für ein gelungenes Misstrauensvotum Gegenstimmen aus dem rot-grünen Lager. Die will ihm bislang niemand liefern. Keiner will der Totengräber der Koalition sein.

Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) sagte am Sonntagabend, man könne es so machen wie 1972 Bundeskanzler Willy Brandt (SPD): Das Kabinett müsse sich enthalten. Diese Variante ist allerdings nicht unbedingt die von allen Grünen präferierte. „Wir haben noch keine Lösung“, sagte ein Mitglied des Parteirats gestern zur taz. Bütikofer gab lediglich zu Protokoll, er habe Trittins Worte auch gehört.

Weit von sich wiesen die Spitzengrünen gestern, dass sie je über ein vorzeitiges Ende der Koalition nachgedacht hätten. Einige Führungsleute in der Partei hatten diesen Schritt nach taz-Informationen erwogen. „Darüber haben wir nur 30 Sekunden gesprochen“, erklärte Parteichefin Claudia Roth nach einem Treffen der grünen Minister, Partei- und Fraktionschefs am Sonntagnachmittag. Es waren eher zwei Minuten, hieß es von anderer Seite. Auf alle Fälle sei es kein Thema gewesen, beteuerten mehrere Teilnehmer der Runde. Joschka Fischer erklärte, er warne davor, die Koalition „taktischen Spielchen zu unterwerfen“. Verbraucherministerin Renate Künast ordnete den Vorschlag eines grünen Koalitionsausstiegs als „kleines Kindergartenspiel“ ein.

Das wesentliche Argument für den Verbleib in der Regierung ist auch hier das der Verantwortung. Die Grünen wollen nicht als „unsichere Kantonisten“ gelten, die die umkämpfte, aber grundsätzlich erfolgreiche rot-grüne Regierung verraten.

Nach den offenen rot-grünen Streitereien der letzten Tage war auch die SPD gestern um Schadensbegrenzung bemüht. Schröder warnte im SPD-Präsidium nach Angaben von Teilnehmern davor, durch unkontrolliertes Einschlagen auf die Grünen sieben Jahre guter Zusammenarbeit in der Regierung schlechtzureden. Gleichzeitig betonte er, dass die SPD einen eigenständigen Wahlkampf führen werde. Ihr Wahlziel sei es, stärkste Partei zu werden. „Einige bei uns haben die Kritik an den Grünen überzogen“, sagte ein SPD-Präsidiumsmitglied der taz. „Die wurden gestern mit dem Lasso wieder eingefangen.“

In dem Zusammenhang stieß Schröders Vorhaben, mit der Bekanntgabe des konkreten Wegs zu Neuwahlen bis zum 1. Juli zu warten, auch in den eigenen Reihen auf Kritik. Die Präsidiumsmitglieder Andrea Nahles und Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin, widersprachen dem Kanzler. Die Unklarheit würde der rot-grünen Regierung nur schaden. Einig waren sich alle jedoch in einem Punkt: Die Vertrauensfrage ist Sache des Kanzlers – nicht der Partei.