Ein Vater der Verfassung sagt Non

Die Grundrechte-Charta hat er mit verfasst. Dennoch lehnt Guy Braibant den Vertrag ab

PARIS taz ■ Guy Braibant hat bis zum allerletzten Moment mit sich gehadert. Am Ende entschied sich der Jurist und international renommierte französische Verfassungsexperte, der auf französischer Seite Autor der Charta der Grundrechte des Nizza Vertrags war, gegen die EU-Verfassung.

Warum er gegen die Verfassung gestimmt hat, die er zu einem beträchtlichen Teil selbst geschrieben hat, erklärt er doppelt: Erstens sei die Charta infolge mehrfacher Einschränkungen nach Nizza „nicht mehr dieselbe wie jene, die ich geschrieben habe“. Und zweitens sei die Verfassung insgesamt mit Kapiteln überladen worden, die „einfach nicht in eine Verfassung gehören“. Der zweite Punkt hat den inzwischen pensionierten Juristen am meisten gestört.

Zwar seien die gegenwärtigen politischen Mehrheiten in Europa „rechts“, sagt Braibant, aber das sei keine Veranlassung und schon gar kein Zwang, Dinge in die Verfassung schreiben, die „ein sehr orientiertes politisches Programm sind“. Er spricht von einem „politischen Fehler, weil man alles miteinander vermischt hat“. Braibant hat in den 90er-Jahren im ersten Konvent gesessen. Die Änderungen, die zu seinem Non führten, kamen im zweiten Konvent. Da war er schon nicht mehr Mitglied.

In den letzten Wochen vor dem Referendum hat Braibant vergeblich auf Gesten aus der politischen Spitze seines Landes gewartet. Was sie stattdessen geboten haben, waren Ultimaten. „Sie haben gesagt: Das ist die letzte Chance für Europa. Das war absurd“, sagt er.

Nachdem das französische Referendum die Verfassung ins Abseits geschickt hat, sieht Braibant vor allem diesen Ausweg aus der neuen Situation in der EU: „Die Verfassung muss überarbeitet werden. Kapitel II muss ganz raus. Teile von Kapitel I ebenfalls. Und die Charta muss drinbleiben.“ DOROTHEA HAHN