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Süddeutschland überflutet

Dämme brachen, mindestens ein Mensch starb: In Bayern und Baden-Württemberg haben die Fluten großes Unheil angerichtet

Aus München Dominik Baur

Das Anderthalbfache eines Jahrhunderthochwassers habe sich da am Wochenende ereignet, hieß es. Also ein Hochwasser, wie es nur alle 150 Jahre vorkommt? Nicht ganz. Die etwas eigentümliche Bezeichnung bezieht sich lediglich auf die statistische Rechengröße „Jahrhundertwasser“ oder HQ 100, die die Pegelstände beschreibt, wie sie im Durchschnitt nur alle 100 Jahre erreicht oder überschritten werden. Diese Pegel wurden nun um das Anderthalbfache übertroffen.

Fragt sich freilich, ob diese Werte in Zeiten der Klimakrise überhaupt noch passen. Schließlich, darauf wiesen auch dieses Mal wieder Experten hin, sorgt die Krise nicht nur für eine Erwärmung des globalen Klimas, sondern auch für immer mehr und heftigere Extremwetterereignisse.

In Bayern und in Baden-Württemberg fiel an diesem Wochenende mitunter innerhalb von 24 Stunden mehr Regen als sonst in einem ganzen Monat. Das Hochwasser verwüstete ganze Ortschaften, Dämme brachen. Das Ausmaß der Katastrophe lässt sich noch nicht einmal im Ansatz übersehen. Mancherorts mussten die Einsatzkräfte die Schutzmaßnahmen gänzlich einstellen und konnten sich nur noch um die Rettung von Menschen bemühen. Insgesamt waren nach Angaben der Landesregierung am Sonntag etwa 40.000 Helfer im Einsatz, darunter auch rund 800 Bundeswehrsoldaten.

Der tragischste Vorfall ereignete sich in der Nacht zum Sonntag im oberbayerischen Landkreis Pfaffenhoffen an der Ilm. Ein Feuerwehrmann starb, als er mit drei Kollegen Menschen retten wollte, die von den Fluten eingeschlossen worden waren. Das Schlauchboot der Helfer kenterte. Während die Kollegen sich retten konnten, konnte der 42-Jährige nur noch tot geborgen werden.

„Es ist furchtbar. Er starb, als er Menschen vor dem Hochwasser retten wollte“, sagte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne), der gerade auf dem Weg in den Landkreis war. Ein ähnlicher Unfall wurde später aus dem schwäbischen Offingen gemeldet. Auch hier war ein Boot gekentert. Ein 22-jähriger Feuerwehrmann blieb zunächst vermisst.

Klimaminister Habeck würdigte den Einsatz der ehrenamtlichen und hauptberuflichen Helfer; sie riskierten in den Hochwassergebieten ihr Leben, um Menschen zu retten. Kurz vor dem Eintreffen Habecks brachen dann auch noch bei der Gemeinde Baar-Ebenhausen zwei Dämme, die die Gegend vor dem Hochwasser der Paar, einem Donau-Nebenfluss, schützen sollten. Sie zu reparieren, war nach Angaben des Landratsamtes jedoch unmöglich.

Habeck besuchte gemeinsam mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und Landesinnenminister Joachim Herrmann (beide CSU) das nahegelegene Reichertshofen. Hier, so der zuständige Kreisbrandrat, herrsche ein „unberechenbares Hochwasser“, wie es es seit Beginn der Wetteraufzeichnungen noch nicht gegeben habe. „Der Markt Reichertshofen wird aktuell überflutet“, sagte er. „Wir können nichts mehr tun, wir müssen quasi jetzt aufgeben. Aber aufgeben heißt nicht, dass wir Leib und Leben dafür riskieren, das haben wir im Griff.“

Die knapp 5.000 Helfer im Landkreis konzentrierten sich nun darauf, Menschen aus den überfluteten oder bedrohten Gebieten zu retten. Mehrere Landkreise riefen am Sonntag den Katastrophenfall aus, Hunderte Menschen mussten ihre Häuser verlassen.

Während sich die Lage in Baden-Württemberg und im Westen Bayerns im Laufe des Sonntags langsam etwas entspannte, sah man im Osten des Freistaats noch voller Bangen dem Höhepunkt der Flut entgegen.

Mancherorts mussten die Einsatzkräfte die Schutzmaßnahmen einstellen

In Passau etwa stieg der Pegel der Donau auf mehr als 7,70 Meter, wie der Hochwassernachrichtendienst mitteilte. Auch wenn Straßen und Plätze in Passau bereits unter Wasser standen, rechnete die Stadt noch mit einer Verschärfung der Lage. Am Montag könnte der Pegel 8,50 Meter, am Dienstag sogar 9 Meter erreichen.

Das Hochwasser zog auch den Bahnverkehr stark in Mitleidenschaft. So entgleisten am Samstagabend infolge eines Erdrutsches zwei Waggons eines ICE im baden-württembergischen Schwäbisch Gmünd. Die 185 Passagiere konnten laut Bahn unverletzt aus dem Zug geholt werden. Am Sonntag gab es viele Zugausfälle und Verspätungen in Süddeutschland.

Die aktuelle Hochwasserka­tastrophe passt in eine Langzeitbeobachtung, die Bayern und Baden-Württemberg gemeinsam mit dem Deutschen Wetterdienst in Auftrag gegeben haben. Danach habe sich die Jahresmitteltemperatur in Süddeutschland je nach Gebiet seit dem Jahr 1931 um 0,5 bis 1,2 Grad erhöht. Während sich der Jahresgesamtniederschlag in demselben Zeitraum kaum verändert habe, habe sich die Verteilung der Niederschläge im Jahreslauf aber verschoben. Im Sommer gebe es nun immer weniger Regen, die Niederschläge im Frühjahr und Winter nähmen dagegen zu.

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