Das erste Mal
: Späte Badesaison

Im Nestchen kugelt und wuselt alles

Der Tag war sehr heiß gewesen. Wir waren zu einem See Richtung Köpenick gefahren und hatten auf Handtüchern zwischen Bäumen gelegen. S. hatte etwas zu Essen, H. hübsche Postkarten von seinem Urlaub in indischen Bergen und ich das alte rote Badehandtuch der taz mit dem Tatzenlogo dabeigehabt.

Es war schwül. Manchmal spielten wir Federball und versuchten dabei, den Ball solange wie möglich in der Luft zu halten. Wir schafften 164 und unterhielten uns über Geschlechterfragen. Zum Beispiel darüber, dass Frauen aufgrund ihrer Bauweise weniger im Wasser frieren. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Wenn es in echt 16 Grad ist, empfinden das Frauen wie 19, während es Männern wie 14 vorkommt.

Weil ich in diesem Jahr ganz vergessen hatte, schwimmen zu gehen, war es wichtig, nun zum Ufer zu gehen. Doch reinzugehen ist immer so ein Problem. Überhaupt bin ich nicht besonders entscheidungsfreudig. So hatte ich lange (in dieser Badehose, die ich 1992 in Rumänien gekauft hatte) im flachen Wasser gestanden.

Ein Mann mit seiner vielleicht elfjährigen Tochter zierte sich wie ich beim Reingehen. Seine Tochter lachte und wollte ihn nass spritzen. Nach zwei Minuten tauchte er ins Wasser, während ich noch Entschlossenheit in mir sammelte und an ein Gespräch mit Gerburg Treusch-Dieter über Nacktheit in Ost und West dachte. Das war 1992 gewesen und ich hatte die Stimme der Soziologin noch genau im Ohr; wie sie sagt und ab und zu dabei kichert: „Die – soll ich sagen Ossis? Ex-DDR-Bürger? – liegen ja auch richtig mit Familien und allen da an den Seen. Die haben da ihre Nestchen, und da kugelt und wuselt alles. Dick, dünn, alt, jung, vom Baby bis zum Großvater liegen da beieinander, und man hat den Eindruck, der Körper wird überhaupt nicht bewertet.“ Dann hatte ich mich ins Wasser geworfen. DETLEF KUHLBRODT