„Ich möchte diese Filme zugänglich machen“

FIRST STEPS Am Dienstag wird der Nachwuchs-film-preis zum zehnten Mal verliehen. Programmleiterin Andrea Hohnen hat „First Steps“ miterfunden und seitdem tausende Studentenfilme gesehen. Ein Gespräch über die Profis von morgen

ist seit 2000 Programmleiterin von „First Steps“. Die gebürtige Bonnerin studierte Musik in Florenz und Stuttgart sowie Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Berlin. Sie arbeitete u. a. als Kabarettistin, Klavierlehrerin und Dokumentarfilmerin. Sie lebt in Berlin.

INTERVIEW DAVID DENK

taz: Frau Hohnen, Sie sind von Anfang an Programmleiterin des Nachwuchsfilmpreises „First Steps“ – nicht gerade ein Ausbildungsberuf. Wie sind Sie das vor zehn Jahren geworden?

Andrea Hohnen: Ich bin Medienwissenschaftlerin, habe selbst Filme gemacht und dann als Festivalbetreuerin an der Deutschen Film- und Fernsehakademie hier in Berlin viel über Festivals gelernt. Anschließend habe ich als Programmleiterin einen Europäischen Spielfilmwettbewerb in Ludwigsburg konzipiert und umgesetzt. Dann hat Nico Hofmann mich gebeten …… der Produzent und Gründer des „First Step“-Mitveranstalters „Teamworx“ …

… die Struktur eines Filmpreises zu entwickeln, der Öffentlichkeit für Abschlussfilme von deutschen Filmhochschulen schafft. Ende der Neunziger herrschte eine große Euphorie, was studentische Produktionen anging. Während ich das Konzept schrieb, dachte ich: Bingo, das ist meins!

Warum?

Ich sehe jetzt seit 15 Jahren Filme von jungen Filmemachern, und ich finde das immer noch toll – auch wenn es natürlich nicht immer nur Vergnügen ist. Aber dann sehe ich einen Film und bin plötzlich hellwach und denke: Das ist so aufregend und spannend, das möchte ich anderen zugänglich machen.

Woher kam die Euphorie gegenüber Studentenfilmen?

Vor zehn Jahren war die Situation in der Medienbranche eine völlig andere. Das hatte wesentlich damit zu tun, dass die vielen Privatsender einen riesigen Bedarf an jungen talentierten Filmemachern hatten und auf eine neue Generation von Filmstudenten trafen, die ihrerseits durchaus offen waren für die kommerzielle Verwertung ihrer Filme. Die Stimmung war wirklich euphorisch. Jede Filmhochschule macht professionelle Screenings für die Branche, um Verbindungen zwischen den Studenten und ihren künftigen Arbeitgebern herzustellen. Vor zehn Jahren waren diese Screenings so brechend voll, dass die Studenten draußen bleiben und die Fachbesucher auf der Treppe sitzen mussten. Seit etwa fünf Jahren werden die Studenten regelrecht aufgefordert, dabei zu sein, damit es nicht allzu leer aussieht im Auditorium.

Woran liegt das?

Daran, dass sowohl die öffentlich-rechtlichen als auch die privaten Sender ihr Engagement vollständig zurückgefahren haben und kein Interesse mehr an Experimenten besteht. Kleiner Hoffnungsschimmer: Sat.1 hat zusammen mit der Filmakademie Ludwigsburg und dem Land Baden-Württemberg ein Programm aufgelegt, in dem pro Jahr ein Absolventenfilm, ein Debüt und eine freie Produktion gemeinsam entwickelt und dann mit je 300.000 Euro pro Film gefördert werden. Die Filmhochschulen sollen eben nicht ausschließlich den autonomen Autorenfilmer hervorbringen, sondern qualifizierte Leute, die die vorhandenen Strukturen nicht nur bedienen, sondern mit ihrem Know-how und ihren künstlerischen Qualitäten bereichern.

Wie offen sind Absolventen heute für eine kommerzielle Verwertung ihrer Arbeiten?

In der Überzahl sind sie immer noch offen dafür, die professionelle Wirklichkeit, in die sie nach dem Studium entlassen werden, ist allerdings eine völlig andere. Sie müssen sich entweder sehr früh in Richtung reine Verwertbarkeit entscheiden und schon während des Studiums intensive Kontakte zu den entsprechenden Firmen und Sendern knüpfen. Oder sie setzen von vornherein auf eine ganz andere Art des Filmemachens, mit ungewisser beruflicher Perspektive. An manchen Filmen dieses Jahrgangs kann man ablesen, dass die Macher noch einmal ganz bewusst die Freiräume und Unterstützung genutzt haben, die ihnen die Filmhochschulen bieten. Das macht aber auch Sinn: Denn wenn du nicht weißt, wohin sich der „Markt“ entwickelt, für den du ausgebildet wirst, bleibt die einzige verlässliche Größe deine unverwechselbare Handschrift.

Wohin führt diese Entwicklung?

Daraus Trends und Prognosen abzuleiten, ist ganz unmöglich. Ich weiß es nicht.

Was bedeutet Ihnen das Jubiläum von „First Steps“?

Einerseits erstaunt es mich, dass diese für Deutschland wirklich ungewöhnliche privatwirtschaftliche Konstruktion zehn Jahre gehalten hat, andererseits erfüllt es mich mit einer Art amüsiertem Stolz. Dass wir von Anfang an keine Jeans-und-T-Shirt-Veranstaltung sein wollten, sondern eine Rote-Teppich-Gala für die Profis von morgen, war ja auch ein Risikofaktor. Und dass sich die fünf Veranstalter, zu denen ja inzwischen auch die Deutsche Filmakademie gehört, bei ihren jährlichen Treffen im Herbst immer wieder darauf einigen konnten, „First Steps“ fortzusetzen, ist sowieso einmalig.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Dass wir nachweisen können, dass ein Großteil der „First Steps“-Nominierten von dem lebt, was sie gelernt haben. Das kann man auf unserer Website überprüfen, wir nehmen routinemäßig Kontakt zu den Ehemaligen auf und fragen nach. Wir reden hier von Leuten, die ein Kunststudium absolviert haben, also die Möglichkeit des Scheiterns immer mitdenken mussten. Ob sich der Jahrgang 2009 genauso etablieren kann, darüber wage ich keine Prognose.

Was verbindet die „First Steps“-Nominierungen 2009?

Im Kurzfilmbereich: dass sie wenig verbindet. Die sieben Nominierten – normal wären fünf – bilden eine Bandbreite von Themen und Formen ab, die in zehn Jahren „First Steps“ einmalig ist. In diesem Jahr scheint sehr viel Wissen, Können und Engagement in kurze Filme geflossen ist. Dafür gibt es weniger abendfüllende Spielfilme.

Auch ein Krisenindikator.

Den Filmen bekommt es ganz gut. Früher wurden viele Geschichten abendfüllend erzählt, denen nach 40, 50 Minuten die Luft ausging. Dann lieber ein 30-Minuten-Klopper!

Und die Dokumentarfilme?

Nach den großen internationalen Themen im letzten Jahr geht diesmal der Trend eindeutig zu den kleinen Beobachtungen vor der deutschen Haustür. Dass vier von fünf nominierten Filmen in diesem Jahr aus Ludwigsburg kommen, ist Zufall. Es gab auch aus München tolle Filme, zum Beispiel einen über den „Musikantenstadl“.

Die waren aber nicht toll genug, um nominiert zu werden.

Veranstalter: Teamworx, German Free TV (Sat.1, ProSieben, Kabel1), Mercedes-Benz, Spiegel TV und die Deutsche Filmakademie (bis 2005 Constantin Film)

Ziel: Der Branche das hohe kreative Potenzial des Nachwuchses an Filmschulen in den deutschsprachigen Ländern präsentieren und den AbsolventInnen den Einstieg in den Beruf erleichtern

Preisträger: Vanessa Jopp, Florian Gallenberger, Valeska Grisebach, Hans Weingartner u. a.

Dotierung: insgesamt 80.000 Euro in sechs Kategorien

Vorführung: Eine Auswahl von Kurz- und Animationsfilmen läuft am 27. August um 21.15 im Kino Babylon Mitte in Berlin TAZ

Das ist das Gesetz eines Wettbewerbs. Von zwölf tollen Filmen können nur fünf nominiert werden.

Was können Sie für Filme tun, die bei den Jurysitzungen hinten runterfallen?

Ich versuche, diese Filme Leuten zu empfehlen – zum Beispiel Ihnen. Ich empfehle Ihnen jetzt mal einen Film, der nicht nominiert wurde.

Bitte.

Ich finde die Auswahl der Jury in diesem Jahr sehr gut, aber für mich persönlich gab es einen Film, der alles andere in den Schatten gestellt hat. „Redemption“ von Sabrina Wulff erzählt von drei amerikanischen Deserteuren, die in einer Illegalen-WG in Kanada wohnen. Dieser Film ist eine Reise in das Herz der Finsternis – davon habe ich nachts geträumt. Er zeigt, was Krieg in den Seelen der Menschen anrichtet, dieses nachhaltige Zerstörungswerk.

Welcher Preisträger aus den zehn Jahren liegt Ihnen besonders am Herzen?

Ich nenne zwei: „Mein Stern“ von Valeska Grisebach und „Richtung Zukunft durch die Nacht“ von Jörg Kalt, der sich vor zwei Jahren umgebracht hat. Beide Auszeichnungen haben für mich unter Beweis gestellt, dass unsere Jurys im Entscheidungsfall den kommerziellen Blick ablegen und außergewöhnlich zwingende künstlerische Ansätze erkennen können. „Mein Stern“ hat das Zeug zum Klassiker.

Auf welchen „First Steps“-Film warten Sie noch?

Seitdem ich Filme auswähle, tue ich das mit der aus Erfahrung gespeisten Haltung, dass der nächste Film das Außergewöhnlichste ist, was ich je gesehen habe. Es kann manchmal drei Wochen dauern, bis dieser nächste Film kommt, aber er kommt. Hundertprozentig. Er wird immer kommen. Dabei geht es mir überhaupt nicht um bestimmte Themen oder Genres, sondern darum, dass er mich ein Stück weit verändert. Für diese Kraft liebe ich Filme.