Schwächen des Einsamkeitsbarometers: Halbherzige Strategie

Die Familienministerin möchte Einsame zum Kaffeeklatsch bitten. Das ist nicht viel mehr als Symbolpolitik. Besser wäre, an den Ursachen zu arbeiten.

Eine Frau lehnt sich ans Fenster und hält die Hände vors Gesicht.

Einsamkeit kann krank machen Foto: Julia Cumes/imago

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Die Grünen) hat am Donnerstag das erste bundesweite „Einsamkeitsbarometer“ vorgestellt. Ein wichtiger Schritt, um das Einsamkeitsproblem in der Gesellschaft anzugehen, denn die WHO schätzt Einsamkeit als ähnlich gesundheitsschädlich ein wie Rauchen. Doch was fehlt, sind gesundheitspolitische Folgen. Der Bericht stellt fest, dass pflegende Angehörige, Menschen, die viel Care-Arbeit verrichten, und junge Erwachsene verstärkt von Einsamkeitsgefühlen betroffen sind, erkennt aber nicht das strukturelle Problem dahinter.

Paus möchte Einsamkeit enttabuisieren und veranstaltet dafür Kaffee-Talks, Aktionswochen und ein „Singen gegen die Einsamkeit“. Das alles fühlt sich nach virtue signaling, einer reinen Symbolpolitik, an. Der Frau, die ihre kranke Mutter zu Hause pflegt, wird sich nicht bei einem Kaffee mit der Familienministerin über ihre Sorgen unterhalten. Was ihr fehlt, ist ein ambulanter Pflegedienst, den sie bezahlen kann. Der 18-Jährige, der zwar Freun­d:in­nen hat, sich aber trotzdem ständig einsam fühlt, dem bringt ein „Singen gegen Einsamkeit“ nichts. Stattdessen braucht er einen Therapieplatz, ohne monatelanges Warten. Die Reduzierung von Wartezeiten ist in der Einsamkeitsstrategie des Fami­lien­ministeriums zwar vorgesehen, aber ohne konkrete Umsetzungsvorschläge oder Zeitpläne. Das wird einem derart dringenden Thema wie diesem nicht gerecht.

Soziale und gesundheitliche Einrichtungen sollen für das Thema sensibilisiert werden. Das setzt am Ende an statt am Anfang. So wird Einsamkeit erst dann angegangen, wenn die Leute teilweise schon sozial isoliert sind. Denn der Bericht stellt auch fest, dass einsame Menschen weniger Vertrauen in politische Institutionen haben und seltener wählen gehen. Es ist nicht verwunderlich, dass Leute, die sich von der Gesellschaft im Stich gelassen fühlen, sich nicht auf die Politik verlassen wollen. Die Entscheidung, Einsamkeit bekämpfen zu wollen, ist richtig – aber man macht viel kaputt, wenn man es halbherzig macht.

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schreibt gerne über soziale, feministische und queere Themen. Hat in Freiburg und Bergen Politikwissenschaft und Englisch studiert.

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