Die neue SPD im Westen

SPD-Fraktionschefin Hannelore Kraft will 2010 zurück an die Macht. Doch den Neuanfang der Genossen in NRW muss eine bunt zusammengewürfelte Truppe im Düsseldorfer Landtag schaffen

VON MARTIN TEIGELER

Hannelore Kraft ist neue Oppositionsführerin im Düsseldorfer Landtag. Mit 67 von 70 gültigen Stimmen wurde die bisherige nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin (siehe Infokasten) bei zwei Enthaltungen und einer Nein-Stimme zur Chefin der sozialdemokratischen Landtagsfraktion gekürt. Drei Fraktionsmitglieder der 74-köpfigen SPD-Parlamentsgruppe nahmen nicht an der gestrigen Wahl teil, eine Stimme war ungültig. Krafts Vorgänger Edgar Moron wurde von den Genossen als Landtagsvizepräsident nominiert.

Kraft versicherte nach ihrer Wahl, die SPD-Fraktion werde eine „geschlossene und überzeugende Oppositionsarbeit leisten“. Die SPD-Parlamentarier müssten ab sofort für die nächste NRW-Landtagswahl in fünf Jahren kämpfen. „2010 können wir den Wählern zeigen, dass wir die Besseren sind.“ Bei der Wahl am 22. Mai war die SPD nach fast vier Jahrzehnten Regierungszeit in Nordrhein-Westfalen abgewählt worden. In ihrem Stammland erreichten die Genossen 37,1 Prozent – das schlechteste Resultat seit 51 Jahren.

Gemeinsam mit dem designierten neuen Landesparteichef Jochen Dieckmann (bislang NRW-Finanzminister) soll Kraft den Neuanfang der SPD im Westen voranbringen. „Es ist die Frage, ob das nur eine Zwischenlösung ist“, sagt der Politikwissenschaftler Uwe Andersen (Ruhr-Universität Bochum) über die personelle Neuaufstellung der Genossenschaft an Rhein und Ruhr. Die NRW-SPD befinde sich in einer „schwierigen Umbruchsituation“. So müsse sich die Partei inhaltlich und personell als neue Opposition profilieren und zugleich den wahrscheinlichen Bundestagswahlkampf im Herbst angehen. „Da brechen Konflikte auf“, so der Bochumer Politikprofessor. Besonders für den Fall einer drohenden Wahlpleite im Bund stünden der SPD Auseinandersetzungen über den künftigen Kurs bevor.

Unklar sei auch die regionale Kräfteverteilung innerhalb der NRW-SPD. „Während die Partei überall im Land ihre Wahlkreise verloren hat, wurde das Ruhrgebiet eindrucksvoll verteidigt“, sagt Andersen. Ob die nur noch im Herzland Ruhrgebiet starke Partei schon in fünf Jahren an die Macht zurückkehren könnte, mag der Politologe nicht prognostizieren. Dies hänge 2010 vor allem von der Regierungsbilanz von Schwarz-Gelb ab, so Andersen. „Regierungen werden abgewählt.“ Die Opposition spiele dabei nicht die entscheidende Rolle. „Die SPD muss aber versuchen, geschlossen zu wirken.“

Bislang ist von heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Sozialdemokratie wenig zu spüren. Nach der Wahlpleite und dem Abgang von Parteichef Harald Schartau haben sich die Genossen an die stille Trauer- und Aufbauarbeit gemacht. „Wir werden Monate brauchen, um das zu verarbeiten“, sagt ein Mitglied des NRW-Parteipräsidiums. Es sei zu einfach, die Wahlniederlage mit Hartz IV und den rot-grünen Reformen in Berlin zu erklären. „Das geht tiefer, das hat auch mit unserer Regierungsarbeit in NRW und mit dem Vertrauensverlust in weiten Teilen der Bevölkerung zu tun.“

Weil die SPD am 22. Mai nur wenige Wahlkreise direkt gewann, zogen unverhofft viele Nachwuchs-Sozialdemokraten über die Landesliste ins Parlament ein. Zahlreiche scheinbar chancenlose Jung-Politiker sind nun plötzlich Landtagsabgeordnete – bis Platz 44 zog die Reserveliste. Diese bunt zusammengewürfelte „Zufallsfraktion“ ist der harte Kern der neuen SPD im Westen. Zu den Hoffnungsträgern gehören Neu-Parlamentarier wie der Duisburger Sören Link (28 Jahre alt), Martin Börschel (Köln, 32), Stefanie Wiegand (36, Südlohn) oder die frühere Juso-Vorsitzende Svenja Schulze. Im Vergleich zur altbackenen, letzten Landtagsfraktion ist das Durchschnittsalter um Jahre auf deutlich unter 50 gesunken.

Neu dabei ist ebenfalls Bodo Wißen (31) aus Rees am Niederrhein. Die SPD müsse „die Arbeiterschaft wiedergewinnen“, fordert er. Das „diffuse Gefühl“ der Enttäuschung bei vielen abhängig Beschäftigten habe dazu geführt, dass sie nicht zuhause geblieben seien wie bei vergangenen Protestwahlen, sondern CDU gewählt hätten. „Das darf 2010 nicht wieder passieren.“