Bahn geht in den Untergrund

Die Bahn will neben dem Bahnhof Zoo auch den Ostbahnhof vom ICE-Netz abhängen. Nur auf der unterirdischen Nord-Süd-Trasse sollen die Schnellzüge verkehren. Das widerspricht allen Planungen

VON UWE RADA

„Drehscheibe Berlin“ nennt die Bahn AG ihr künftiges Schmuckstück – den Hauptbahnhof Lehrter Bahnhof – in einer aufwändigen Imagebroschüre. Zu sehen sind ICE-Züge, die sowohl unterirdisch als auch auf der Trasse der Stadtbahn in den ICE-Kreuzungsbahnhof einfahren.

Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus. Ein Jahr vor Inbetriebnahme des Hauptbahnhofs hat die Bahn klargestellt: ICEs verkehren in Zukunft nur noch auf der unterirdischen Nord-Süd-Trasse. Das sich über den ganzen Bahnhof spannende gläserne Dach in Ost-West-Richtung bleibt künftig S- und Regionalbahnen vorbehalten.

Binnen kürzester Zeit hat die Bahn damit zum zweiten Mal ihr Konzept geändert. Bereits vor drei Wochen war bekannt geworden, dass die ICE-Züge aus und in Richtung Westen nicht mehr am Bahnhof Zoologischer Garten halten sollen. Nun ließ der Fahrplanleiter der Bahn AG, Ingulf Leuschel, auf einer Veranstaltung über die Zukunft des Bahnhofs Zoo wissen, dass die ICEs nach Inbetriebnahme des neuen Bahnhofs gar nicht mehr auf der überirdischen Stadtbahntrasse von Zoo bis Ostbahnhof verkehren sollen. Vielmehr würden alle Züge aus Westen den Weg durch den Nord-Süd-Tunnel nehmen. ICE-Haltepunkte sind demnach nur noch Spandau, Papestraße und der Hauptbahnhof. Nicht nur der Bahnhof Zoo, sondern auch der Ostbahnhof wäre zum Regionalbahnhof degradiert. Leuschels Begründung: eine Zeitersparnis von 4 Minuten.

Berlins Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) hat auf die Ankündigung der Bahn AG gestern „mit großem Unverständnis“ reagiert. Eine Konzentration des ICE-Verkehrs auf der Nord-Süd-Trasse wäre die Abkehr vom dezentralen Pilzkonzept, auf das sich Senat und Bahn Anfang der 90er-Jahre verständigt hätten, sagte Senatorinnen-Sprecherin Petra Rohland. Bei diesem Konzept war neben der Trasse Spandau–Hauptbahnhof–Papestraße auch die Ost-West-Trasse mit dem Bahnhof Zoo und dem Ostbahnhof Bestandteil des Fernverkehrsnetzes. Der Leiter der Abteilung Verkehr in der Stadtentwicklungsverwaltung, Ural Kalender, nennt deshalb den oberen Teil des Lehrter Bahnhofs schon einen „Geisterbahnhof“.

Ein wichtiges Argument von Junge-Reyer ist darüber hinaus die Verkehrssituation. „Der Bahnhof Zoo ist verkehrlich hervorragend angebunden“, sagt Sprecherin Rohland. „Eine Konzentration auf den Hauptbahnhof würde die innerstädtischen Verkehre in hohem Maße verändern. Das ist jedoch ohne langfristige Planung nicht zu machen.“ Christfried Tschepe, der Vorsitzende des Fahrgastverbandes Igeb, gab darüber hinaus zu bedenken, dass bei Staatsbesuchen im nahen Regierungsviertel immer wieder mit Verkehrsbehinderungen zu rechnen sei.

Für die Grünen steht ohnehin fest, dass es der Bahn gar nicht um Kundenfreundlichkeit geht. „Das Argument mit den 4 Minuten ist fadenscheinig“, sagt die verkehrspolitische Sprecherin der grünen Abgeordnetenhausfraktion, Claudia Hämmerling. „In Wirklichkeit will die Bahn ihre Einzelhandelsflächen im völlig überdimensionierten Hauptbahnhof vermieten. Da ist denen jedes Mittel recht.“

Senatorin Junge-Reyer hat inzwischen an die Bahn appelliert, den Kunden selbst die Entscheidung zu überlassen, wo sie aus dem und in den ICE steigen. Viel Möglichkeiten hat sie aber nicht, im Gegenteil. Auch am Bahnhof Papestraße wurde die Senatorin kalt von der Bahn erwischt. Den Bahnhofsvorplatz, erklärte die Bahn AG entgegen früheren Verabredungen, soll nun die Stadt bauen.