Politische Gedanken statt Stilfragen

betr.: „Was passiert denn da?“, taz vom 30. 5. 05

Ich finde es fahrlässig, so zu tun, als könnten wir Schwarz-Gelb gelassen auf uns zukommen lassen. Allen, die dergleichen verbreiten, muss klar sein: Schwarz-Gelb bedeutet den Ausstieg aus dem Ausstieg. Schon heute schwärmen die Baden-Württemberger Schwarzen davon, dass sie Obrigheim wieder anwerfen (hätte man den Kasten doch gleich demontiert!) und dass sie am liebsten noch ein AKW bauen und dafür die angeblich fledermauskillenden Windräder aus dem Schwarzwald wieder rausreißen würden, das verkünden sie schon lange. Dies allein sollte Grund genug sein, das Unmögliche zu versuchen und sich noch mal für Rot-Grün ins Zeug zu werfen.

Und wer garantiert uns, dass Angela Merkel nicht zur Maggie Thatcher II wird? Die Folgen sind sattsam bekannt, wer sie für vernachlässigbar hält, soll mal mit einem britischen Gewerkschafter reden – wenn er noch einen findet! Kampfgeist ist jetzt vonnöten, nicht Gelassenheit! CHRISTIANE RATTINGER, Offenburg

In der Tat, es gibt momentan noch keine attraktiven linken Gegenentwürfe zum herrschenden Gesellschaftsmodell. Der Familienstreit zwischen den rot-grünen Bürgerkindern und ihren schwarz-gelben Geschwistern, Vettern und Cousinen um die Macht im Staat wird an deren privilegiertem Lifestyle kaum rütteln. Allerdings die von dieser Familie ausgeschlossenen und ausgegrenzten Personengruppen – zum Beispiel Arme, Arbeitslose, Migrantinnen und Migranten – werden unter dem noch raueren sozialen Klima zu leiden haben.

Rot-Grün hat ideenlos die Drecksarbeit für Schwarz-Gelb gemacht, wollte allenfalls hier und da nur das kleinere Übel sein; die Ernte – nämlich den Einstieg in eine noch kältere und unsolidarischere Gesellschaft – werden CDU/CSU und FDP voraussichtlich im kommenden September einfahren. HEINZ-DIETER SIMON, Menden

Im hier abgedruckten Beitrag eines „studierten Ethnologen“ „passiert“ – im Sinne von „Vorübergehen“? – „durch ein Denksieb gestrichen werden“? – eine implizite Empfehlung, das als sinkend deklarierte Schiff Rot-Grün rechtzeitig zu verlassen, um mit dem Strom der Zeit schwimmend das eigene Etabliertsein an den neoliberal aufgeschütteten Strand zu retten.

Was bleibt denn zu befürchten, wenn „Schwarz-Gelb“ drankommt“? Das dürfte vor allem jene direkt (oder als Nischendienstleister indirekt) abhängig Beschäftigten betreffen, die nach dem Verlust dieses Status (ihres mitabhängigen Einkommens) sich angesichts eines alsbald strikt steueraufkommensneutral entrümpelten Arbeitsmarktes ebenfalls noch als ethnologische Forschungsobjekte wahrgenommen und publizistisch vermarktet finden könnten.

EVA-MARIA HESSE-JESCH, Gießen

Ratlosigkeit scheint sich breit zu machen – aber nicht bei der deutschen Linken im Allgemeinen, sondern ausschließlich bei den taz-Redakteuren. Offensichtlich ist für sie links sein schon lange nichts anderes mehr als eine coole Haltung und das Gewissen, über die richtigen Klamotten, den fairen Kaffee und die richtige biologisch-dynamische Ernährung zu verfügen. In dieser überlegenen Haltung schwadronieren die Redakteure darüber, dass Schwarz-Gelb so schlimm nicht sein werde – weil „dem linken Harald-Schmidt-Fan selbst Angela Merkel nicht nach dem Spaß trachten wird“, wie Patrik Schwarz am Montag schrieb –, dass eine neue Linkspartei ohnehin chancenlos und Oskar Lafontaine nicht ernst zu nehmen sei.

Nicht ernst zu nehmen ist aber gerade diese salonlinke, müde, gelangweilte neue Art der taz, gnädig über fünf Millionen Arbeitslose und 1,5 Millionen arme Kinder, über steigende Armut bei gleichzeitig reicher werdenden Reichen hinwegzusehen, nur weil Schwarze und Gelbe auch Harald Schmidt gucken und coole Klamotten tragen können. Links sein ist vielleicht doch mehr als eine coole, trendige Haltung, als eine Stilfrage, hat vielleicht doch etwas mit sozialer Verantwortung, mit Solidarität zu tun – nur auf den Redaktionsfluren der taz hat sich diese Erkenntnis nicht breit gemacht. Denn – um Himmels willen – eventuell müsste man sich dann ja engagieren, so richtig ernsthaft, müsste einer neuen Linkspartei Chancen geben, auch einmal die Grünen kritisch betrachten, Lafontaine zur Abwechslung auch mal zuhören, müsste sich echt Gedanken darüber machen, wie das Land in Zukunft aussehen sollte, politische Gedanken, keine Stilfragen … Ist das in dieser taz noch möglich?

Und übrigens, Herr Schwarz: Die Homoehe wurde 2002 weder von SPD noch von den Grünen „als Leitidee vorangestellt“, sondern peinlich versteckt – und im Übrigen ist dieses verkümmerte Lebenspartnerschaftsgesetz, das die Ungleichheit feige weiter festschreibt, alles andere als ein Grund, auf Grün oder Rot stolz zu sein.

MARTIN SOMMER, Saarbrücken