Chirac wechselt Personal statt Politik

Die erste Konsequenz aus dem EU-Referendum ist eine neue Regierung in Paris. Als Innenminister ist wieder Nicolas Sarkozy im Gespräch. In den Medien setzt die Schelte der WählerInnen ein. Das „Non“-Lager diskutiert das weitere Vorgehen

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Kaum waren die Wahllokale am Sonntag geschlossen, stand in Paris eine erste „Antwort“ auf das Referendum über die EU-Verfassungsfrage fest. Sie hat rein nationalen Charakter: eine neue französische Regierung. Zwei Tage lang zeigten die Nachrichtensendungen Luxuslimousinen, die in den Innenhof des Élysée-Palasts rollten und rechte SpitzenpolitikerInnen zu Audienzen mit dem Staatschef ausspuckten. EineR von ihnen wird neueR RegierungschefIn, lautete der Kommentar.

Seit gestern ist der Name des neuen Regierungschefs bekannt. Innenminister Dominique de Villepin soll die Regierung in den verbleibenden 22 Monaten bis zu den Präsidentschaftswahlen führen. Der Wechsel an der Regierungsspitze stand schon vor dem Referendum fest. Der scheidende Jean-Pierre Raffarin erklärte, er habe dem Staatspräsidenten sein Rücktrittsvorhaben Mitte Mai mitgeteilt. Raffarin als Regierungschef war extrem unpopulär. Schon im vergangenen Jahr, als die Rechte bei Regional- und Europawahlen empfindliche Niederlagen erlitten, stand er auf der Kippe. Damals brauchte Chirac ihn noch.

Über seinen Posten im Innenministerium kursierte gestern Vormittag das Gerücht, er solle wieder an Nicolas Sarkozy gehen. Der Chef von Chiracs Partei UMP hatte die rechte Regierung im vergangenen Jahr verlassen, weil Chirac nicht dulden wollte, dass er zugleich Parteichef und Regierungsmitglied sei. Nachdem eine große Mehrheit der UMP-Basis ihn zum Chef gewählt hatte, ging Sarkozy. Doch nun saß er in einer der Limousinen, die im Élysée-Palast vorfuhren. Sollte er tatsächlich als Innenminister und Nummer zwei in die Regierung kommen, würde ein Kräftemessen zwischen ihm und de Villepin beginnen, das die Regierung lähmen könnte. Die beiden Männer sind Konkurrenten.

Zu den Folgen des EU-Verfassungsreferendum wollte sich Chirac gestern Abend im Fernsehen äußern. Unterdessen bemühen sich Pariser PolitikerInnen und Intellektuelle, die ausnahmslos mit „Oui“ gestimmt haben, darum, möglichst alle die Spuren des Referendums zu verwischen. Seit der massiven Niederlage füllen sie die französischen und ausländischen Medien mit Unverständnis und Beschimpfungen der WählerInnen. Unter anderem sprechen sie über deren „kleinbürgerliche Ängste“, „Konservatismus“ und „fremdenfeindliche Ressentiments“. Da die Mehrheit der französischen Medienleute mit „Oui“ gestimmt hat, ist es zwei Tage nach dem 55-prozentigen „Non“ schon wieder schwer geworden, die Stimmen und Motive der GegnerInnen in den Medien zu finden. Eine Ausnahme bildet die Humanité. In dem kommunistischen Blatt suchte gestern die Pariser Regionalrätin Claire Villiers (Alternative citoyenne) nach einer Ausweitung des „demokratischen Großereignisses nach Europa“. Ebendort regt PS-Führungsmitglied Gérard Filoche (ebenfalls gegen die Verfassung) die Einberufung einer europäischen „verfassungsgebenden Versammlung“ an. Und der Bauerngewerkschafter José Bové bereitet die Mobilisierung für den nächsten EU-Gipfel am 16. Juni sowie „Generalstände für ein anderes Europa“ vor.