Markt melkt Bauern und Steuerzahler

Landwirte kämpfen einer Studie zufolge weltweit ums Überleben, weil Kühe in Europa zu viel Milch produzieren. Jetzt fordern einige Bauern, die Überschüsse einzudämmen. Verbraucher sollen derweil „fair gehandelte“ Milch kaufen – für 5 Cent mehr

AUS BERLIN HANNA GERSMANN

Bernd Voß schwärmt von der Milch, als wäre sie ein Zaubertrank. Lecker sei sie, gesund, enthalte alle Nährstoffe, die der Mensch braucht: Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate, Vitamine und Mineralstoffe. Voss sagt das nicht nur, weil heute der Tag der Milch ist, sondern auch weil er von ihr lebt. Noch.

Voß hat in Schleswig-Holstein einen 100-Hektar-Hof. Auf den Wiesen grasen 80 Kühe. Wirtschaftlich gesehen „ist da keine Luft mehr“, sagt er. Er ist damit nicht allein. 26 Cent bekommen die deutschen Bauern derzeit für einen Liter Milch. Das reicht nicht, um etwa Diesel für Traktoren, Futter und Pacht zu zahlen. Alle zehn Jahre halbiert sich die Zahl der Milchbetriebe, seit dem letzten Jahr protestieren immer wieder Bauern vor Molkereien, vor Aldi und Lidl.

Für Voß gibt es noch einen Schuldigen: die EU. Sie müsse sich um faire Preise kümmern, fördere stattdessen aber nur die Überproduktion. Voss sagt das als Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL). Und fügt hinzu: „Das ruiniert die Bauern.“ Nicht nur in Europa, sondern auch in Jamaika oder Brasilien. Er stützt sich auf eine neue, gemeinsame Studie der ABL und der Entwicklungsorganisation Germanwatch.

Demnach produzieren allein in Deutschland knapp 5 Millionen Kühe pro Jahr 28 Millionen Tonnen Milch. Und je nach Schätzung werden in Europa insgesamt 10 bis 15 Prozent mehr Milch produziert als gebraucht. Gedacht war das mal anders: Seit 1984 wird die Milchproduktion über eine Quote geregelt. So dürfen Voß und seine Kollegen nur eine bestimmte Menge Milch an die Molkereien liefern. Doch dank einer geschickten Agrarlobby wurde die immer zu hoch angesetzt. Das drückt die Preise.

Der große Deutsche Bauernverband (DBV) erhofft sich davon bessere Exportchancen. Martin Hofstetter, Autor der Studie, hält das jedoch für blanken Unsinn: „Die Europäer werden niemals wettbewerbsfähig sein.“ Ihre Produkte seien für den Weltmarkt zu teuer. Das derzeitige System gibt ihm Recht.

Weil Europa in Milch ertrinkt, wird der Steuerzahler gemolken. Jeder Exporteur bekommt Erstattungen, die den Unterschied zwischen höherem EU-Preis und Weltmarktpreis ausgleichen sollen. Die EU-Bürger zahlen für diese Subventionen, aber auch dafür, dass Schüler Milch und Bäcker Butter besonders billig bekommen, insgesamt 2 Milliarden Euro pro Jahr.

So wird die EU so konkurrenzlos, dass sie 30 Prozent am weltweiten Milchmarkt hält. „Diesem Preiskampf können die einheimischen Bauern in Ländern wie Indien oder Jamaika nicht standhalten“, konstatiert denn auch Sarah Kahnert von Germanwatch. Im Karibikstaat sei der Anteil inländisch produzierter Milch in den letzten Jahren beispielsweise um 35 Prozent zurückgegangen.

Für Voß, Hofstetter und Kahnert gibt es nur eine Lösung: „Faire Preise zahlen! Milchquoten runter! Exportsubventionen stoppen!“ Bislang ließ sich das politisch nicht durchsetzen, hartnäckig hält die EU am kostspieligen System fest. Im Dezember findet in Hongkong allerdings die nächste Welthandelsrunde statt. Neuseeland, Australien oder Indien werden die EU abermals drängen, ihre Exportförderung zu drosseln. Wie es ausgeht? „Offen“, sagt Kahnert.

Der Verbraucher kann so lange immerhin fair gehandelte Milch trinken – aus Hessen. Bauer Voß erklärt: In rund 50 Bioläden in Hessen, Westfalen und Niedersachsen verkaufe die Upländer Bauernmolkerei eine „ErzeugerFair-Milch“. Das Prinzip: Der Liter kostet 5 Cent mehr als sonst. Der Aufpreis kommt direkt den Bauern zugute.

www.germanwatch.org/tw/milch.htm