Bildhauerin Hannah Hallermann: Hirnströme und Scheuklappen
Die Künstlerin Hannah Hallermann hinterfragt in ihrer Einzelausstellung unseren Umgang mit Information. Eröffnet wird sie parallel zum Gallery Weekend.
Auf dem Weg zum Werkhof nahe dem Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer schneit es. Es ist noch einmal sehr kalt geworden an einem dieser letzten Apriltage. Vorbei an einer Metallwerkstatt und Tischlerei liegt das Atelier der Bildhauerin Hannah Hallermann.
Hinter einem Schreibtisch mit Skizzen und Vorstudien zu den Skulpturen ihrer parallel zum offiziellen Programm des Gallery Weekend Berlin eröffnenden Einzelausstellung „Information“ in der HOTO Gallery blickt man durch große Fenster auf Bambusbüsche. Dahinter steht ein Schiffscontainer, in dem die Künstlerin ihre Arbeiten lagert. Es sind großformatige Objekte aus Stahl, Eisen und schweren Schläuchen, die schon durch ihr Gewicht eine dichte Spannung erzeugen.
Aber auch textbasierte Arbeiten gibt es, mit Sätzen, die Paradigmen hinterfragen, festgefügte gesellschaftliche Strukturen und Denkweisen. Darunter „Freedom of Equality / Equality of Freedom“ oder „Are you satisfied with your descision?“ Auch Sprache kann für Hallermann einen Raum definieren. Wie die Gedichte und Texte von Rainer Maria Rilke und Mascha Kaléko: „Das ist wie Bildhauerei. Du machst so einen Raum auf mit Bildern und eröffnest, zwischen den Zeilen, Zugang zu einer anderen Welt.“
Ein Jahr lang hat sie für ihre Ausstellung recherchiert, in der sie sich mit der Informationsflut auseinandersetzt, die über Nachrichten und Social-Media-Kanäle täglich sortiert und eingeordnet werden muss. Da geht es um Informationen, die Selbstvergewisserung, aber auch Ängste erzeugen und die eigene Informationsautonomie infrage stellen. Etwa mittels Algorithmen, die eigene Sucheingaben auslösen und die sich dann auf allen Kanälen permanent wiederholen.
Scheuklappen als Metapher
Als Metapher nutzt sie stilisierte, bewegliche Scheuklappen, zu unserer, wie sie sagt, „ständigen Anpassung des Bewusstseinsfeldes“. Diese können ein Schutzraum sein, um zur Ruhe zu kommen und eigene Gedanken zu entwickeln, aber auch die Gefahr bergen, in der eigenen, abgekapselten Filterblase zu verharren und diese als real zu verorten. Teilweise sind die Scheuklappen aus Stahl geschweißt oder aus Harz gegossen, so dass Informationen undeutlich durchschimmern.
Die größte Arbeit sind zwei wie weiche Kissen aufgerichtete Klappen aus Metall. Diese, so Hallermann, habe sie nach dem Zusammenschweißen an einem Gabelstapler auf dem Hof aufgehängt und mit Hunderten von Litern Wasser aufgepumpt, um diese Form zu erhalten. Kleinere, weicher anmutende Klappen wurden mit Luft aufgeblasen. „Luft“, so Hallermann, „geht sehr viel schneller, aber kann explodieren. Das war für die großen Arbeiten zu gefährlich.“
Eine weitere Serie mit dem Titel „Medusa“ zeigt eingeschweißte Elektroden aus dem EEG-Labor des Max-Planck-Instituts: Ein Geflecht aus Sonden und Drähten, die genutzt werden, um Hirnströme aufzuzeichnen und in Daten umzuwandeln. Das dient zur Früherkennung von Schlaganfällen oder auch zur Beobachtung von Depressionen und Schlafverhalten.
Verarbeitung intimer Daten
Der Prozess des Einschweißens hält symbolisch den Prozess der Datenverarbeitung auf und stellt die Frage, was mit diesen intimen Informationen geschieht. So wurde in den USA 2019 aufgedeckt, dass die Perioden-App „Flo“ die Daten ihrer Nutzerinnen an Facebook weitergegeben hatte. Zur Strafverfolgung von Schwangerschaftsabbrüchen, wie etwa in Texas, wurden diese Daten verwendet.
Hannah Hallermann: „Information“. Galerie Hoto Art, 27. April bis 14. Juni, Eröffnung: 26. April, 18 Uhr
Die 1982 in Nürnberg geborene Hallermann studierte Bildende Kunst, Philosophie und Kunstgeschichte an der Kunstakademie Villa Arson in Nizza sowie Videokunst und Postproduktion an der Kunsthochschule für Medien Köln. 2010 machte sie ihr Meisterschüler-Diplom an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Nach anfänglich raumgreifenden Arbeiten setzte sie sich zunehmend mit verschiedenen Materialien auseinander.
Diese hätten für sie, so Hallermann, immer auch ein erzählerisches Element und eine Zuschreibung, die man infrage stellen könne. Wie etwa die dem Material Stahl zugeschriebene Härte und Kälte, aber auch Stabilität. „Es hat mich“, so Hallermann, „bildhauerisch interessiert, dem auch etwas Weiches mit einzuschreiben.“
Geprägt haben sie die Arbeiten von Rebecca Horn – und von Bruce Nauman: „Ich finde es faszinierend, wie Nauman unserer dunklen Seite den Spiegel vorhält, wie grausam wir als Menschen sein können.“ Wie bei ihm geht es in Hallermanns Kunst immer auch um Macht und wie sie in gesellschaftlichen Prozessen wirkt.
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