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dvdeskImmer nahe am Tanz

Da ist Emiliano (Hugo Catalán), der als schwuler Filmemacher ziemlich berühmt ist. Da ist Octavio (Alan Ramirez), ein Tänzer, der nach einer Knie-OP erst wieder zum Tanz zurückfinden muss. Sie begegnen einander, als Emiliano einen Film über Tänzer und Tanz drehen will. „Sie begegnen einander“ ist für das, was man sieht, allerdings eine allzu grobe Beschreibung. Blicke wenden sich hin und wenden sich ab, die Kamera umkreist und umschleicht den einen, den andern, den Rückzug des einen, die Verfolgung des andern, sie presst sich an den einen fast an, lässt den anderen für den Moment in die Unschärfe gleiten, das alles in einem dem Barock-Chiaroscuro angeähnelten Licht-Schatten-Effekt modelliert.

Die Kamera wird Zeugin des Kusses, der Berührung, es ist mehr als nur Zeigen, mehr als Bezeugen, es ist ein aktives Dabeisein, wie angetrieben vom Wunsch, es ließe sich der Körper, den die Kamera filmt, auch mit den Blicken berühren. Und die Körper selbst sind in eine Form der Eigenbewegung versetzt, die immer nahe am Tanz ist, selbst noch einmal in einer Spannung zwischen der Alltagsausführung des Tuns und einer Übertragung in meist mehr unfertige als fertige Choreografien, wenngleich es auch freigestellte Momente gibt, in denen, was man sieht, wirklich einfach nur Tanz ist.

Wieder und wieder gibt es in der Folge diese und ähnliche Szenen. Körper, die aufeinander lauern, sich nacheinander sehnen und einander begehren, es, ja, auch das, miteinander treiben. Aber Julián Hernández legt den Akzent doch sehr viel stärker auf eine Art Vorspiel, beziehungsweise viele Arten von Vorspiel, als auf das Zur-Sache-Kommen, das nur noch Lust, aber keine Spannung mehr kennt. Da folgt dann oft, nicht immer, ein Schnitt.

Es ist ein Spannungsrum, den Hernandez aufspannen will, in dem er und die Kamera sich manchmal millimeterweise bewegen, ein Raum zwischen Erwartung und auch Enttäuschung, aus der Welt gefallen, wenn nicht gerissen, in eine eigene Welt überführt, die nur aus Außenraum-Wirklichkeitsresten besteht, ein Bett, ein Teppich, eine Wand mit einem Plakat von Fassbinders „Die Sehnsucht der Veronika Voss“, von Licht, Schatten, Kamera modellierte Räume, in denen keine Individuen, sondern Körper agieren, und selbst diese Körper sind radikal konkret und abstrakt zugleich: nackt wie bloßes Begehren.

Filme gibt es, zu denen fasst man vom ersten Bild an Vertrauen, und wenn das nicht gelingt, ist man sehr schnell verloren. „Ich bin das Glück dieser Erde“ ist so ein Film: Man muss sich ihm, seinen Bewegungen, seiner Art, die Menschen und die Welt zu erfassen, ganz überlassen, dann entfaltet er eine hypnotische Wirkung. Nach Handlung und ihrer Logik sollte man dabei besser nicht fragen. So gerät der Tänzer Octavio, der zunächst im Mittelpunkt stand, für lange Zeit aus dem Blick, während der Filmemacher Emilian mit anderen Männern, anderen Körpern zu tun hat, aber auch zu Aufnahmen vom Sex, den er hatte, vor dem Fernseher masturbiert.

Julián Hernández, Jahrgang 1972, ist einst von der Filmhochschule in seiner Heimatstadt Mexiko-Stadt geflogen. Das, was er machte, war damals zu schwul. Es war, und ist, aber eben auch ästhetisch einzigartig und kühn. Von Heroen der Filmmoderne wie Michelangelo Antonioni oder Alain Resnais sicher beeinflusst, aber doch, nicht nur in seiner Queerness, auf einem eigenen Weg. Immer nahe am Tanz, freischwebend zwischen den Künsten, aber auch die Musik seltsam abstrakt, alle Handlung dabei zu Bewegung und Körperinteraktion filetiert.

Die Auflösung ist dann auch eine Verschmelzung: nicht der Körper, sondern von Spiel und Gesang. Vielleicht nicht das ganze Glück dieser Erde, aber nahe daran. Ekkehard Knörer

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