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Ausgehen und rumstehen von Stephanie GrimmNordbalkon ist der neue Südbalkon

Foto: privat

Ich liebe das Monster Ronson's. Der Karaokeladen ist die stabilste Konstante meines Ausgehlebens. Seit fast 20 Jahren mieten wir uns mehr oder weniger regelmäßig eine Kabine, inzwischen eher zu zweit oder dritt. Die Lage liebe ich weniger. Die Warschauer Brücke ist ein noch krasseres Pflaster als das benachbarte R.A.W.-Gelände. Bestimmt ist in irgendwelchen Reiseblogs zu lesen: „You haven’t been to Berlin 'til you puked off Warschauer Brücke.“

Deswegen meiden wir das Ronson wochenends. Nun habe ich aber einen Gutschein in der Schublade liegen, seit vier Jahren schon, wegen einer Spende für den Laden während der ersten Lockdowns. Weil ich die Vorstellung, allein mit meiner Singfreundin die Box fünf Stunden zu nutzen (so der Gegenwert der Crowdfunding-Kampagne von damals; falls denn Vergnügungsstätten jemals wieder öffnen sollten, wollte man offenbar nicht knausrig sein), konditionell doch herausfordernd finde. Irgendwann fallen einem zudem keine Songs mehr ein.

Also die Gruppe erweitern. Was die Terminfindung bekanntlich nicht leichter macht. Und so landen wir doch an einem Freitag auf der verhassten Brücke. Was soll ich sagen? In unserer Box war es sowieso ein großer Spaß. Aber auch in den öffentlichen Bereichen, vor der Bühne: ein beseeltes Miteinander. Schon abends um acht, draußen ist es noch hell. Ein paar Stunden später ist immer noch alles im Lot: Jungmännergruppen aus Skandinavien schunkeln mit der queeren Community, immer noch die tragende Säule des Ladens; Expats, ursprünglich vom Subkontinent, feiern mit Frauen mittleren Alters, wohl aus dem Ruhrpott, die auf einer Art Klassenfahrt und ziemlich hinüber sind. Und alle miteinander unterstützen inbrünstig die, die gerade auf die Bühne singen. Auch wenn man draußen auf der Brücke in Misanthropie verfallen kann – hier drin gibt es das Gegenmittel.

Nach soviel gelebter Utopie bin ich am nächsten Tag totgespielt. Wie schön, dass ich träge im Theatersessel des HAU hängen und mich von Stefanie Sargnagel bespaßen lassen kann. Die Wiener Schriftstellerin und Cartoonistin liest aus ihrem neuen Roman „Iowa“, zusammen mit der Songwriterin Christiane Rösinger. Was die beiden an den Hotspot der Schweinemast verschlagen hat, soll hier nicht verraten werden. Doch was davon hängen blieb, ist ziemlich kurzweilig. Ebenso wie das Zusammenspiel der beiden, die einander die Bälle weniger zuspielen als wegkicken und manche Pointe elegant links liegen lassen. Auch dieser Abend hat eine Anmutung von Klassentreffen. Des Öfteren lässt sich Rösinger aus dem Publikum bestätigen, dass sie dieses oder jenes, was in Sargnagels Road-Roman steht, niemals sagen oder tun würde. Neben empörten Zwischenrufen gibt sie auch Gassenhauer zum Besten, Songs wie „Depressiver Tag“ oder „Sinnlos“ passen schließlich überall hin.

Sonntag lockt der Staudenmarkt – erstmals an einer neuen Location, der Domäne Dahlem. Viel shoppen geht nicht, wenn man einen Nordbalkon hat, aber ich kann ja mal gucken. Und wenn ich schon mal mit Leuten vom Fach statt mit Nullchecker-Aushilfen im Baumarkt – oder wo man sonst so seine Küchenkräuter kauft – reden kann. Why not? Und siehe da: „Nordbalkon ist der neue Südbalkon“ sagt die Fachkraft und freut sich, dass jetzt auch der Ökogartenbau Anlass zum Fashiontalk bietet. Echt jetzt? Ja, wegen Klimawandel würden die Pflanzen leicht verdorren, Halbschatten wäre mittlerweile für viele besser. Bei mir ist aber Vollschatten. Soll ich es trotzdem mal mit Mittelmeerkräutern probieren, etwa diesem Orangenthymian? Hm, das wäre vielleicht doch etwas gewagt. Am Schluss landen wir bei Löffelkraut und Pfefferkraut. Das wurde mir an gleicher Stelle schon mal empfohlen. Ist aber lecker.

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