Wollt ihr überhaupt Kultur?

Seit das Projektbüro 2010 unter Martin Heller das Konzept einer „Stadtwerkstatt“ vorgelegt hat, ist die Debatte um die Kosten entbrannt: Weil eine Leserumfrage des „Weserkuriers“ nahe legt, dass die 7 Millionen anders besser angelegt wären, will das „Junge Theater“ dagegen mobilisieren.

Eigentlich müsste die Leserbefragung des „Weser-Kuriers“ in Ihrem Sinne sein: Jetzt werden die Bürger in die Entscheidungen über Kulturprojekte eingebunden.

Martin Heller: Ich glaube nicht, dass suggestiv angelegte Befragungen den Ausschlag geben können bei kulturpolitischen Auseinandersetzungen. Und die vom „Weser-Kurier“ gestellte Frage ist dabei ja gar nicht so sehr die nach der Stadtwerkstatt, sondern eine viel tiefere: „Wollt ihr in Zeiten schmaler Kassen überhaupt Kultur?“ Wenn man ehrlicher wäre, fragte man: Wollt ihr euch das Stadttheater leisten oder eine teure Kunsthalle? Wenn man jedes dieser Einzelprobleme einem Plebiszit unterwerfen würde, dann gäbe es wohl bald kaum mehr Kultur in Bremen.

Dann müsste die sich in Bremen überzeugender verkaufen.

Die Verführungskraft von Kultur entsteht dadurch, dass sie stattfindet. Dass sie Dinge herzeigt. Der Vorteil einer Straße, die man baut, ist, dass wir alle schon viele Straßen gesehen haben. Der Nachteil einer Stadtwerkstatt ist, dass man nicht von vorneherein weiß, wie das Resultat in zwei Jahren aussehen wird.

Ihrem Konzept zufolge hat der Bewerbungsprozess gezeigt, welches Veränderungspotenzial in Kultur steckt. Die Bremer müssten damit eine recht konkrete Vorstellung haben, was sie durch ein solches Kulturprojekt gewinnen.

Gemeint ist die kulturpolitische Ebene, wo es Leute gibt, die sich um Weichenstellungen bemühen und für die Strukturwandel nicht nur eine leere Floskel ist. Die Ebene, die im Strukturwandel eine Aufgabe sieht, die die Politik angehen muss.

Von den 17 Seiten Konzept sind 13 Rechtfertigung, dass Kultur Entwicklungsmotor sei und auch in andere Bereiche ausstrahle. Ganze vier Seiten sind Konzept für die Stadtwerkstatt.

Das hängt mit der besonderen Situation zusammen. Die Selbstverständlichkeit, mit der Bremen vor zwei Jahren in einer finanziell ebenfalls nicht rosigen Situation gesagt hat: Wir wollen das – nicht nur Kulturhauptstadt, sondern Kultur – diese Selbstverständlichkeit ist der Stadt gründlich abhanden gekommen. Bremen ist die einzige Stadt der Welt, wo Sie das Wort „Biennale“ für eine zweijährlich stattfindende Veranstaltung nicht gebrauchen dürfen, weil dann sofort die Rede von der Eventkultur ist.

Es gibt Stimmen, die das Konzept für die Stadtwerkstatt als zu wenig konkret kritisieren.

Wir hatten nach der unseligen Absage des Biennale-Konzepts durch Herrn Gloystein ganze zwei Wochen Zeit. Ich glaube, dass wir die Aufgabe gut gelöst haben. Und ein Konzept ist kein Maßnahmenkatalog. Es ist einer der billigen Vorwürfe zu sagen, es ist zu wenig konkret und wenn es konkret ist, sagt man: Es ist zu wenig visionär. Und wenn es visionär ist, sagt man: Es könnte pragmatischer sein. Es ist wie die Reise nach Jerusalem und am Ende hat jemand keinen Stuhl.

Nach Ihren Vorstellungen soll die Stadtwerkstatt ein zusätzliches Instrument der Kulturförderung sein. Warum genügt die bislang betriebene Projektförderung nicht?

Weil es das Instrument einer kompetenten Projektförderung mit präzisen Leitlinien in Bremen unterentwickelt ist. Wäre dieses Instrumentarium da und die Stadt kulturpolitisch und vom Apparat her topfit, bräuchte man die Stadtwerkstatt vielleicht gar nicht.

In einem Passus des Konzepts loben Sie die funktionierende Kooperation zwischen Kulturverwaltung und Projektbüro 2010.

Kooperation heißt, dass wir versucht haben, die Dinge abzusprechen. Wir haben durch eine so genannte Task-Force eine gute Zusammenarbeit etabliert. Es gab so einen runden Tisch, der über längere Zeit gut funktioniert hat und wo der kulturpolitische Apparat gute Arbeit geleistet hat. Und auch gelacht. Die bisherige Erfahrung mit der Kulturpolitik war, dass sie es nicht schafft, Projektförderung so zu betreiben, dass der Inhalt im Vordergrund steht und nicht die Verteilung nach Stadtteilen oder irgendwelchen Quoten.

Gibt es nichts zu fördern in Bremen?

Den Eindruck habe ich nicht. Darum ist mir das Weltspiel so wichtig. Wenn Sie sehen, was dort alles abgegeben wurde an reflexhaften Hüftschuss-Projekten, Gutmensch-Projekten, alles immer so wunderbar für die Entrechteten dieser Welt – aber stinklangweilig. Mit Nachfragen und Insistieren, dass es auch etwas anderes geben müsse, sind plötzlich 15 charmante Dinge auf den Tisch gekommen, gefördert mit eigentlich wenig Geld. 400.000 Euro, alles privat finanziert vom Ehepaar Hollweg. Das hat niemandem etwas weggenommen. Die Stadtwerkstatt soll genau diese Szene weiter fördern. Das ist das pure Gegenteil von Party-Kultur.

Wäre es ein Fluch oder Segen, wenn die Bremer Politik die Stadtwerkstatt annähme? Sie blieben dann mit Bremen verbunden.

Wir hätten das Projekt nie geschrieben, wenn wir nicht wollten, dass es angenommen würde. Für Bremen wäre es auf jeden Fall ein Segen. Ich bin dabei weniger wichtig.

Interview: Friederike Gräff