Der Spargelkönig

Als die Erdbeere einmal rebellierte. Ein Märchen aus dem Reich von Obst und Gemüse

Aus allen Krumen Ländern eilte Gemüse herbei, um dem Spargelkönig zu huldigen

Einst lebte in einem kleinen Tal ein Spargel, der hieß Asparagus, und er war so weiß und schön, und seine Spitze leuchtete so scharlachrot, dass man ihn überall nur den Spargelkönig nannte. Aus allen Krumen Ländern eilte altes und junges Gemüse herbei, um dem Spargelkönig zu huldigen und sich von ihm segnen zu lassen. Denn bald hatte sich herumgesprochen, dass sein Segen Wunder wirkte: Lahme konnten wieder gehen, Blinde wieder sehen, und Hungrige vermochten wieder zu essen. Da war ein Jubeln und Frohlocken, und eifrige Rüben trugen die frohe Kunde in alle Felder und Fluren.

In einem fernen Löshaufen aber, der finster war und feucht, hauste eine Erdbeere, die hieß Fragaria, und sie war matschig und von strengem Geruch. Als diese von dem Spargelkönig hörte, von seinem schönen Wuchse, seiner roten Spitze und von seinem Segen, da grollte sie sehr und sprach zu sich selbst: Auch ich will hingehen und dem Asparagus huldigen. Das soll dem Stängel übel aufstoßen! Und eilig ließ sie ihren Wagen anspannen, schnalzte den Rettichen zu, die bereits voller Übermut die Zotteln um sich warfen, und, hui, wie der Blitz flog das Gespann über Busch und Rain.

Am Beete des Spargelkönigs angelangt, suchte Fragaria die Gesellschaft eines Haufens vagabundierender Kartoffeln und lud sie zu einer Runde Apfelkorn. Eine fröhliche Zecherei begann! Doch als man endlich so recht einen über den Durst getrunken hatte, da erhob die matschige Erdbeere, die den Becher nur zum Scheine leerte, die Stimme und sprach: Ich weiß nicht, ob ihr’s schon erfahren habt, aber den Spargelkönig plagt seit Jahr und Tag eine bittere Wurzelfäulnis. Sein Atem ist übel riechend, und die Pestilenz dringt aus seinem Leibe. Die Kartoffeln verdross dies sehr, und tiefe Sorgenrunzeln gruben sich in ihre braune Haut. Immer wieder frug man, wie dem Spargelkönig beizustehen sei in seiner Not. Und was immer man an Kuren erwog, stets wusste die Erdbeere die Pläne durch ein gellendes Gelächter in den Wind zu blasen. Nein, rief sie den Knollengewächsen zu, Prinzessin Béchamel allein vermag dem Siechenden zu helfen. Doch zunächst muss man diesen stechen und sieden. Und ihr, meine Freunde, müsst so manch ein Auge verlieren, euch in kochendes Wasser stürzen und euch schließlich eurer Haut entledigen, auf dass ihr dem Asparagus beigesellt werdet auf einem Teller aus weißem Porzellan. Denn nur so ist es dem Spargelkönig erlaubt, Prinzessin Béchamel zu empfangen. Diese und noch andre Worte mehr vernahm auch ein fahrender Pökelschinken, der, zufällig am Nachbartische verweilend, ein Schlücklein Wasser zu sich nehmen wollte. Nun aber hüllte er sich tiefer in seine braune Kutte. Und kaum hatte Fragaria ihre Rede beendet, da machte sich der Pökelschinken eilends davon, geraden Wegs zur Erdhöhle des Spargelkönigs.

Als am nächsten Tag der Spargelkönig wieder auf seinem Hügel thronte, um von den Gemüsen gehuldigt zu werden, da befanden sich auch die Erdbeere und die gutgläubigen Kartoffeln unter den Wartenden. Endlich kam die Reihe an sie, und die tückische Fragaria beugte ihr zermatschtes Haupt vor der Majestät des weißen Stängels und sprach: Edler Asparagus, ich bin nur die bescheidene Frucht eines Trugdoldengewächses und nicht wert, dir die Rhizome zu lösen. Doch sprich nur ein Wort, so werde ich von den Erdbeerpocken genesen. Und gerade als der Spargelkönig seine scharlachrote Krone zum Segen neigen wollte, da gab die Erdbeere ein geheimes Zeichen. In Windeseile kullerten die Erdäpfel an Asparagus’ Hügel heran, rissen den Arglosen mit ihren Trieben von seinem Thron, warfen ihn in einen wassergefüllten Topf und entfachten darunter ein großes Feuer. Ohne einen Laut sott der Geschundene dahin, und als wollte sie seine Schande noch mehren, warf Fragaria von Zeit zu Zeit Butterflocken in die Grauen erregende Brühe. Doch damit nicht genug! Nachdem ihnen so manches Auge ausgestochen ward, stürzten sich auch die Erdknollen ins brodelnde Bad, wo sie sich unter widerlichem Gezisch ihrer geplatzten Haut entledigten. Und als die zwölfte Stunde geschlagen hatte, da erschien ein leuchtender Porzellanteller am Firmament, und sorgsam legte die matschige Erdbeere den Leib des Spargelkönigs in die Mitte des Tellers und die zerschnittenen Knollengewächse zu seiner Rechten und zu seiner Linken. Und siehe: Prinzessin Béchamel erschien in ihrer königlichen Terrine, ergoss sich sanft und weich über den Geschundenen und füllte den Teller bis zum Rand. Niemals zuvor hat man eine Erdbeere derart schmatzen hören!

Als das schändliche Mahl beendet war und auch das letzte Gemüse das besudelte Schlachtfeld verlassen hatte, da kroch eine in einer Kutte vermummte Gestalt aus dem königlichen Erdhaufen. Verdammt!, sagte der Pökelschinken, grade noch mal davongekommen! Und hurtig zog er von hinnen.

GERMAN NEUNDORFER