HALBES AUGE WEG
: Zirkusvorstellung

Männer rauften sich vor den Kamelen

Die Szene könnte poetischer kaum sein: Vor dem Zirkus William auf dem Tempelhofer Feld stehen plötzlich zwei Polizeiautos mit Blaulicht auf der Wiese, der geschminkte Clown gestikuliert echauffiert mit den Armen und klettert über den Zaun zurück in den Zirkus, in die Vorstellung, die gerade begonnen hatte. Die Zirkuspagen in ihren adretten Kostümen bleiben aufgeregt diskutierend bei den Polizisten.

Kurz davor, wir wollten gerade einen Blick auf die friedlich grasenden Kamele erhaschen, passierte der Radau. Männer rauften sich vor den Kamelen, die Zirkuspagen mit anderen Männern in grauen Trainerhosen. Aus der Ferne sah das ziemlich inszeniert aus, die Fausthiebe wirkten reichlich preziös, und schließlich strömten gerade erste Besucher in das Zirkuszelt.

Weitere Männer sprangen aus den Wohnmobilen und stürzten sich waghalsig in den Tumult. Könnte ja sein, dass sich ein Zirkus so einiges an Shownummern einfallen lassen muss, um in heutigen Zeiten bestehen zu können. Dachten wir. Bis die Polizei mit Blaulicht kam. Die Zirkusleute waren denn auch bemüht, die Besucher ins Zelt und in die Vorstellung zu bekommen. Dann vielleicht doch der Alkohol? Man kennt sie doch, diese Schausteller? Nein, meint der Mann von der Security entrüstet, der breitbeinig beim Eingang zum Zirkus steht, „die wollten die Kamele befreien“. „Nicht wahr?!“, sagen wir und blicken ungläubig auf die Szenerie, die jetzt durch die Ankunft einer Ambulanz noch dramatischer geworden ist. „Das waren Jugendliche“, raunt der Securitymann verschwörerisch, „die unter Drogen stehen.“

Wohl sehen die Jugendlichen aus der Ferne nicht so jung aus. Allerdings bekommen wir den wirklich spektakulären Stoff für wilde Spekulationen erst auf den Heimweg mit, als der jüngste Zirkuspage seiner Kollegin beeindruckt zuflüstert: „Ey, ich sag dir, bei dem einen war das halbe Auge weg.“ GINA BUCHER