BASISDEMOKRATISCHE ZWÖLFTONMUSIK, „UBERSTUCKE“ UND BLUTIGE MIKROFONE
: Die Reime der Gummitwistfraktion

VON JENNI ZYLKA

„Und abends in die Zwölftondisco“ summten wir erwartungsvoll und möglichst unmelodisch vor uns hin (in Abwandlung des 50er-Jahre-Musikfilms fast gleichen Namens), als wir am Samstag aufgebrezelt wie Weimarer Republik-Hipster die Zwölftonoper Lulu angucken gingen. So was bekommt man schließlich nicht alle Tage aufs Brötchen geschmiert: Basisdemokratische Musik, dazu Übertitel, die erklären, was die arme Lulu gerade in Sopranhöhe singt, wenn sie nicht unglücklich in einer Bühnenecke sitzt. „Ist das der Diiiiwan, auf dem sich dein Vater verbluuuutet haaaaaat??“, und man kann ja sagen was man will: Kommerzscheiße ist das jedenfalls nicht.

Geschafft von den vielen zwölf Tönen mussten wir allerdings danach schnell ein paar Hilde trinken gehen, so heißt ein Gedeck in der Viktoriabar, es besteht aus einem kleinen Gläschen Schampus (5 cl) und einem noch kleineren Stampferl Wodka (2 cl), und als Reihenfolge bestimmten wir den Schampus zum Einstieg. Es ist ja immer angenehmer, sich runterzutrinken als rauf. Freitag war auch schon jede Menge Musik drin gewesen, zuerst Die Türen, bei denen man sich vor allem über Andreas Spechtl freuen konnte, der unermüdlich „an der Gitarre und der Zigarette“ (so der Sänger beim Bandvorstellen) zugange war und aussah wie Spejbl und Hurvinek und Pete Townshend gleichzeitig: Wenn uns demnächst mal ein Außerirdischer vom neu entdeckten erdähnlichen Exoplaneten „Keppler 22b“ besucht und wissen möchte, was das Wort „cool“ bedeutet, braucht man ihm nur den Spechtl auf der Bühne zu zeigen. Zudem sang die Band „Hip Hop wird nie sterben / so wie Rock ’n’ Roll und der Geist von Ton Steine Scherben“, und da musste man direkt aus dem Festsaal laufen und noch mal dieses wahnsinnig tolle, der Amerikaner würde sagen „Uberstuck“ von den Beatsteaks in die Loopfunktion des tragbaren Medienabspielgeräts drücken: die Ton-Steine-Scherben-Coverversion „S.N.A.F.T.“. Wow. Lange nicht mehr so hin und weg gewesen.

Horst Fascher, der in seinem Star Club vor genau 50 Jahren Beat gepflanzt hat, würde sagen: „Erste Soahne!“ Auf den Flugeln des Uberstucks ließ es sich sodann stilvoll ins White Trash Fast Food segeln, wo das „Future Days Fest“im vollen Gange war, unten in der Diamond Lounge haute sich „Jimmy Trash and the Gunpowder Temple of Heaven Orchestra“ verzückt das Mikro gegen den Kopf und blutete garagenrockpowermäßig authentisch beziehungsweise „verblutete sich“, wie Lulu sang, und oben spielten „The Bikes“ zu den frittierten Zwiebelringen auf unserem Tisch auf, und so unsexy der Name – noch unsexier wäre nur „The Bikehelmets“, so sexy der Sound: dass Menschen, die aussehen, als ob sie sich jeden Morgen erst mal wachkiffen müssten, dermaßen grandios abgehen können, ist irgendwie beruhigend. Wahrscheinlich sind die, die aufregend wirken, in Wirklichkeit Baldriantropfen, denn schließlich ist nichts so, wie es scheint.

Und immer nur über looks zu reden ist eh flach, im Nachhinein schämen wir uns sogar dafür, früher über Caterina Valente, die im eingangs erwähnten „Und abends in die Scala“ mitspielt, beim Gummitwist gereimt zu haben „Caterina Valente / hat n Arsch wie ne Ente“. Aber so viel anderes reimt sich eben nicht auf Valente, außerdem hat Peter Alexander damals ebenfalls sein Fett wegbekommen: „Peter Alexander / Beine auseinander / Beine wieder zu / wie alt bis Du?“, und man möchte gar nicht wissen, was die heutige Gummitwistfraktion alles so reimt: „Heidi Klum / dreht sich um / hat ein Foto / und guckt dumm.“ (Natürlich nicht beim echten Gummitwist, sondern auf der Wiiiiiiiiii.)