Propaganda-Sieg der Taliban

AFGHANISTAN Der Großangriff in vier Städten, der erst am Montag beendet werden konnte, ist eine politische Niederlage von Regierung und Nato

Die Taliban kopieren die US-Strategie: kämpfen und zugleich verhandeln

VON THOMAS RUTTIG

BERLIN taz | Der jüngste Großangriff der afghanischen Taliban kann mit einem alten anarchistischen Begriff bezeichnet werden: „Propaganda der Tat“. Nie zuvor haben sie synchron Kabul und drei weitere Städte angegriffen. In Kabul war der Angriff erst nach 18 Stunden am Montagmorgen niedergeschlagen, in Logar gingen die Kämpfe auch am Montag weiter. Nach Angaben von Innenminister Bismillah Mohammadi gab es bisher ingesamt mindestens 47 Tote, darunter 36 Taliban.

Mit diesem großen Knall haben die Taliban klargemacht, dass sie trotz gegenteiliger Behauptungen der Nato weiter fähig sind, überall im Land zuzuschlagen. Und zwar einschließlich der Hauptstadt, die eigentlich durch einen „Ring aus Stahl“ afghanischer Sicherheitskräfte – und Isaf/Nato-Rückendeckung – gesichert sein sollte. Dadurch ist der Angriff eine Niederlage der Nato wie der afghanischen Regierung. Die in Afghanistan aktiven Geheimdienste – in- wie ausländische – haben versagt, weil sie offenbar keine Ahnung vom Angriffsplan hatten.

Noch vergangene Woche hatten höchste Nato-Vertreter sich zuversichtlich gegeben. „Jeden Tag werden die afghanischen Sicherheitskräfte stärker und fähiger“, erklärte etwa Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Kabul. Der Isaf-Sprecher, Brigadegeneral Carsten Jacobson, hatte die Taliban gar nur noch zu Einzelaktionen fähig erklärt.

Dabei waren die Angriffe nicht völlig überraschend. In den Tagen zuvor hatten Selbstmordattentäter in den Provinzen Herat, Helmand und Kundus mindestens 20 Polizisten und Zivilisten getötet. Dem ging eine Serie gezielter Ermordungen afghanischer Amtsträger voraus, darunter ein Senator und zwei Distriktratsmitglieder in Urusgan, ein Richter in Dschalalabad, ein Distriktgouverneur in Kandahar sowie der Leiter des Friedensrates von Kunar. Der Vizegouverneur der Provinz Kapisa überlebte nur knapp einen Anschlag.

Erstaunlich ist jetzt die geringe Zahl ziviler Opfer. Die Taliban haben wohl mit Blick auf ihr Ansehen in der Bevölkerung darauf verzichtet, ein Massaker anzurichten, was angesichts der zentralen Lage vieler Angriffsziele durchaus möglich gewesen wäre.

Insgesamt kopieren die Taliban die Strategie der USA: kämpfen und zugleich verhandeln. Auch wenn sie gerade die Gespräche suspendiert haben mit der Begründung, Washington bewege sich nicht genug. Das stimmt: Im Wahljahr kann Präsident Obama schlecht eine ihrer Hauptforderungen erfüllen und hochrangige Taliban aus Guantánamo freilassen. Aber die Suspendierung ist – wie auch der Angriff am Sonntag – keine generelle Absage an Verhandlungen.

Für die überheblichen Nato-Statements vor dem Großangriff gibt es allerdings nur zwei Erklärungen: Entweder sind sie krasse Fehleinschätzungen oder die Nato erzählt der Öffentlichkeit etwas anderes, als sie intern weiß. Seitdem im Januar ein interner Isaf-Bericht über die Taliban bekannt wurde, der ihren Einfluss in Teilen der Bevölkerung belegt, spricht alles für die zweite Erklärung.