Kultur nach der PiS-Ära: Wie steht es um Polens Museen?
Die Zeit der nationalpopulistischen Indoktrination durch die PiS-Regierung ist vorbei. Nun gibt es Geld für Kunst statt Posten für Apparatschiks.
Ein hörbares Aufatmen geht durch Polens Kulturszene. Acht Jahre nationalpopulistische Kunst- und Kulturpolitik der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gehen zu Ende. Schon im April wird Polen auf der Internationalen Kunstbiennale in Venedig nicht mit der Ausstellung des PiS-nahen Künstlers Ignacy Czwartos „Die polnischen Übungen in der Tragik der Welt. Zwischen Deutschland und Russland“ vertreten sein, sondern mit der Videoperformance „Repeat after me“ des ukrainischen Künstlerkollektivs Open Group.
Dies entschied Bartłomiej Sienkiewicz, der neue Kulturminister Polens, gerade mal zwei Wochen nachdem die neue Mitte-links-Regierung im Dezember 2023 die Macht übernommen hatte. Zwar spricht sein Vorgänger im Amt, Piotr Gliński, von „Zensur und Gesetzlosigkeit“, doch der Kunstbetrieb ist froh, dass Sienkiewicz die drohende Biennale-Blamage Polens abwenden konnte.
Sienkiewicz, Urenkel des polnischen Literaturnobelpreisträger Henryk Sienkiewicz, gab dem von der Jury zweitplatzierten Projekt den Vorzug. Es geht auf das diesjährige Biennale-Motto „Ausländer überall“ ein. In der Videoperformance „Repeat after me“ gibt das Künstlerkollektiv ukrainischen Geflüchteten das Wort.
Es war manipuliert worden
Dass zunächst eine Ausstellung, die die rückwärtsgewandte Geschichtsideologie der PiS repräsentiert, den polnischen Biennale-Wettbewerb gewinnen konnte, hatte mit Manipulationen zu tun. Die hatte sich der Direktor von Polens bedeutender Nationalgalerie Zachęta zuschulden kommen lassen. Janusz Janowski war erst 2022 vom PiS-Kulturminister ohne jede Ausschreibung als neuer Zachęta-Direktor eingesetzt worden. Er sollte unter anderem den Wettbewerb für den polnischen Pavillon in Venedig betreuen, sorgte aber dafür, dass die Jury der von ihm selbst kuratierten Ausstellung den ersten Preis zusprach. Sienkiewicz entließ Janowski und strebt nun die Neubesetzung der Zachęta-Direktorenstelle durch eine offene Ausschreibung an.
Zeitgleich, aber öffentlich weitaus stärker beachtet, begann Sienkiewicz mit dem Umbau des PiS-Staatsfernsehens zu einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie er in Polens Verfassung vorgesehen ist. Obwohl TVPiS, wie der Sender im Volksmund genannt wurde, zuletzt nur noch ein gigantischer PiS-Propagandaapparat war, hatten doch viele Polen Zweifel, ob die Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen mit dem geltenden (Un-)Recht, das die PiS eingeführt hatte, vereinbar war. Das ist nach einigen Wochen intensiver öffentlicher Debatte geklärt, und so können sich Sienkiewicz und sein Expertenteam im Ministerium verstärkt den Kulturinstituten zuwenden.
Alle durchlaufen zurzeit ein intensives Audit: Sind die Ausgaben für Betrieb und Personal gerechtfertigt? Oder handelt es sich um verkappte Partei-Institutionen, in denen ehemalige Politiker auf lukrativen Posten die Oppositionszeit überdauern sollen? Welche Aufgaben haben sich Polens Museen und Institute für die nächsten Jahre vorgenommen? Auf einer ersten Pressekonferenz kündigte Sienkiewicz monatliche Fortschrittsberichte an. Doch er beruhigte auch: „Viele polnische Museen, Institute und Festivals haben den Kulturkampf der PiS in den letzten acht Jahren weitgehend unbeschadet überstanden. Bis auf einige spektakuläre Fälle haben wir bereits überall die Anschlussfinanzierung gesichert.“
Das fast leere Museum
Doch es gibt auch Prestigebauten der PiS, die nun klotzig und massiv in der Landschaft stehen. Dazu gehören das neue Heeres-Museum Polens und das neue Museum der Geschichte Polens, beide auf dem Gelände der Warschauer Zitadelle, einer ehemals russischen Festungsanlage aus dem 19. Jahrhundert. Die Entwürfe für die Museen stammen vom Warschauer Architekturbüro WXCA. Auch am rund 12 Hektar großen Stadtpark, der um die Museen entstehen soll, ist WXCA beteiligt.
Das Geschichtsmuseum hatte die PiS noch mitten im Wahlkampf 2023 mit großem Pomp eröffnet. Ein gigantischer Klotz, innen und außen mit grauem Marmor verkleidet – derart viel Stein, dass der Materialbedarf aus polnischen Steinbrüchen nicht gedeckt werden konnte. Der Bau ist aber weitgehend leer. Obwohl sich die Museumsleitung rühmt, in den letzten 17 Jahren 60.000 Artefakte gesammelt zu haben, werden in einer ersten Wechselausstellung gerade mal 600 gezeigt.
Am Eingang des dunkel gehaltenen Saals steht, symbolträchtig für die Geschichtsideologie der PiS, eine Skulptur aus weißem Alabaster. Zunächst wirkt sie wie ein unförmiger Klumpen, erweist sich dann aber als eine überdimensionale und zum Victory-Zeichen geballte Männerhand. Statt Zeige- und Mittelfinger ragen allerdings nur zwei kurze Fingerstümpfe zu einem „V“ in den Himmel. Die oberen beiden Fingerglieder sind amputiert. Der polnische Künstler Krzysztof Bednarski hatte die Skulptur „Victoria-Victoria“ 1983 angefertigt, als in Polen noch das von General Wojciech Jaruzelski über Polen verhängte Kriegsrecht herrschte, die Gewerkschaft Solidarność verboten war und viele Oppositionelle im Gefängnis saßen.
Mythos der „ewigen Helden und Opfer“
Eigentlich hatte die polnische Gesellschaft den nationalen Geschichtsmythos der „ewigen Helden und Opfer“ schon in den 1990er Jahren überwunden und begonnen, sich auch intensiv mit den „schwarzen Flecken“ in der polnischen Geschichte auseinanderzusetzen, also der Täter-Geschichte. Doch die Suche nach einer neuen polnischen Identität war vielen zu schwierig. So gewann die PiS die Wahlen 2005, 2015 und 2019 auch mit dem Versprechen, den Polen ihre Identität als Helden und Opfer der Geschichte wieder zurückzugeben. Das mit fast einer Milliarde Zloty (knapp 240 Millionen Euro) Baukosten teuerste Museum Polens sollte der große Triumph der PiS über die „Scham-Pädagogik“ der Opposition werden.
Nun aber gibt der liberal-konservative Kulturminister von der siegreichen Mitte-links-Koalition einen Richtungswechsel vor. Als nächstes sollen die polnischen Kulturgüter gezeigt werden, die seit Jahrhunderten durch die vielen Kriege über die ganze Welt verstreut wurden und erst seit der politischen Wende 1989/90 nach Polen zurückkehren.
Dagegen kann die PiS kaum protestieren. Dass der „Männer machen Geschichte“-Duktus wie auch der „Helden und Opfer“-Mythos passé sind und im neuen Museum der Geschichte Polens keine Daseinsberechtigung haben, muss der Kulturminister gar nicht sagen. Heute – nach der Abwahl der PiS – sind die meisten Polen und Polinnen bereit, sich mit den vielen Facetten der polnischen Geschichte auseinanderzusetzen. Die Wahl ist eine Zeitenwende.
Die Warschauer wollen mehr Grün
Am Eröffnungstag des Museums hatte sich der PiS-Kulturminister Piotr Gliński gerühmt, dass es in den acht Jahren der PiS-Herrschaft gelungen sei, über 300 Museen und Institute in ganz Polen zu gründen, die allesamt die Stärkung der nationalen Identität der Polen zum Ziel hätten. Diese neuen Museen müssen nun auf den Prüfstand. Gut nur, dass es auch Hunderte Museen und Kulturinstitute in Polen gibt, die frei sind von jeder Bevormundung und Parteiideologie. Das sind vor allem die großen Stadt-Museen und kleinere Häuser, die auf Privatinitiativen zurückgehen.
So soll in Warschau schon in Kürze das Museum für Moderne Kunst in einen Neubau einziehen. Der entsteht gerade zwischen den Kaufhäusern der sogenannten Ostwand Warschaus und dem noch auf Anordnung Stalins im pompösen Zuckerbäcksterstil errichteten Palast für Kultur und Wissenschaft (PKiN). Direkt daneben steht der ebenfalls schon fast fertige Neubau des berühmten Teatr Rozmaitości (TR). Beide Institutionen werden vor allem von der Stadt Warschau finanziert und sind auch in den letzten acht Jahren der PiS-Regierung in ihrer künstlerischen Ausrichtung unabhängig geblieben.
Die meisten Warschauer hoffen allerdings, dass die beiden Gebäude des New Yorker Architekturbüros Thomas Phifer and Partners bald von wildem Wein oder Efeu überwuchert werden. Auch ein Dachgarten, wie ihn die Landschaftsarchitektin Irena Bajerska vor Jahren schon auf dem Dach der Unibibliothek angelegt hatte, würde die Zustimmung der Warschauer finden. Denn die Warschauer wünschen sich im Zentrum der Stadt vor allem eines: mehr Grün.
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