Otto darf nicht mehr

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Die ganze Verve des Otto Schily in der Affäre um zehntausendfache illegale Einreisen illustriert ein Dokument unter den vielen Visaakten besonders schön: Das Auswärtige Amt (AA) verhalte sich kooperativ, stand auf dieser Akte ursprünglich. Der Bundesinnenminister aber machte daraus kooperativer. Und setzte drei dicke Ausrufezeichen dahinter. Niemand sollte unterstellen, dass Schily mit der Erlasspraxis im Hause des Außenministers Joschka Fischer (Grüne) etwa zufrieden wäre.

Otto Schily (SPD) würde so gerne mehr sagen in der Visaaffäre. In der aktuellen Stunde des Bundestages konnte er kaum an sich halten. Er würde auch vor laufender Kamera Auskunft geben, ließ er hinterher verkünden. Kein Wunder, dass der Sicherheitsminister nach vorn drängt in der Sache, die Außenminister Fischer so schwere Vorwürfe einbringt, weil dessen AA die Arbeit krimineller Schleuserbanden begünstigt habe. Innenminister Schily gehörte zu den Ersten, die gegen Fischers Politik in den Jahren 2000 bis 2003 protestierten. Schily ließ sich laufend informieren. Er gilt als zentraler Zeuge der Anklage. Aber nun darf Otto nicht mehr. Rot-Grün hat den Untersuchungsausschuss gestern beendet. Gegen die Stimmen der Opposition. SPD und Grüne haben mit ihrer 7:6-Mehrheit weitere Zeugenbefragungen gestoppt. Auch die Versuche der FDP, mit einem beschleunigten Verhörprogramm rechtzeitig zur Bundestagswahl fertig zu werden, hat die Koalition abgelehnt. Die Obleute Olaf Scholz (SPD) und Jerzy Montag (Grüne) berufen sich auf das Ausschusssekretariat. Es hatte mitgeteilt, dass sofort mit dem Schreiben begonnen werden müsse, wenn es einen ordentlichen Sachstandsbericht geben solle. Nur dann könne man Anfang September den 15. Bundestag den Bericht diskutieren lassen – ganz kurz vor der Wahl.

Die Opposition findet den Vorgang gar nicht lustig. „Mit ein bisschen Fleiß wäre das zu schaffen“, sagt der Obmann der CDU, Eckart von Klaeden. „Wir sind noch nicht fertig“, ermahnt der Ankläger der FDP, Hellmut Königshaus, im taz-Interview (siehe unten). Beide Oppositionsparteien haben verabredet, gegen das vorzeitige Ausschussende zu klagen. Sie rechnen sich gute Chancen vor dem Verfassungsgericht aus.

Selbst wenn Karlsruhe in einem Eilentscheid der Opposition beispringen würde, bliebe freilich wenig Zeit. Dabei wäre gerade Otto Schily spannend gewesen. Die Grünen mussten fürchten, dass ein von allen koalitionären Rücksichten befreiter Innenminister munter geplaudert hätte, wie kritisch er den so genannten Fischer-Erlass im März 2000 gesehen hatte. Schily hatte damals, aufgestachelt von seinem Duzfreund Günther Beckstein (CSU), Bayerns Innenminister, mehrfach gegen die Visapraxis des AA polemisiert. Nur mit Mühe konnte eine offene Konfrontation am Kabinettstisch vermieden werden. Aber urplötzlich hielt der Innenminister still – obwohl sich alle seine Befürchtungen bewahrheiteten.

Im Jahr 2000 und 2001 schnellten die Visazahlen allein in der Kiewer Botschaft hoch auf beinahe 300.000. Zehntausende der Sichtvermerke, das hat der Ausschuss gezeigt, waren durch Schleuserbanden erschlichen worden. Sie nutzten die Freifahrscheine aus dem Hause Fischer – und zwangen UkrainerInnen zu Schwarzarbeit und Prostitution.

Aber auch die SPD hat allen Grund, den Ausschuss schnell zu beenden. Denn jener Erlass, der die durchschlagende Änderung der Visaerteilung brachte, wurde bereits sechs Monate vor dem Fischer-Erlass verfügt – mit maßgeblichem Einfluss eines Beamten des Innenministeriums, der auch alle folgenden Erlasse fleißig mitzeichnete.

SPD-Obmann Scholz meinte gestern, man könne Otto Schily „nicht mal so nebenbei“ zu diesem Komplex befragen. Warum nicht – wenn der Innenminister doch so gern möchte?