berliner szenen: Ratte springt ins Vogelhaus
Es war im Sommer 92: Auf einer Punkparty im Vorgarten der „Ruine“, jener Spelunke im besetzten Haus am Winterfeldtplatz, liefen die Boomtown Rats, da stand Pablo plötzlich neben mir. Übermütig von ein paar Bieren setzte er zu einem waghalsigen Sprung an, einen Salto durch mannshohe Flammen des Lagerfeuers. Wir wurden Freunde. Heute ist er Künstler. Manchmal sendet mir Pablo Fotos des von ihm erlegten Wildes, Trophäen via WhatsApp. „Werd lieber Tierfilmer“, sage ich, als ich ihn neulich am Paul-Lincke-Ufer besuche. Er säbelt mir eine Scheibe von einem kostbaren spanischen Schinken ab, und von seiner roten Kücheninsel schauen wir in den Garten auf die blickdichte Bambushecke.
Hinterm Bambus die Favela der Wohnungslosen am vermüllten Ufer des Landwehrkanals. Pablo legt sich an seinen bodentiefen Fenstern auf die Lauer, filmt, wie eine fette Ratte aus dem Stand hoch in das Vogelhäuschen im Obstbäumchen jumpt und sich das Futter schnappt. Sofort hängt Pablo das Vogelhaus ab. Kurz darauf kehrt der Nager zurück – das Häuschen nicht mehr im Visier – und springt dennoch: ins Leere!
Die Rattenszene in Gonzáles Inárritus „Amores Perros“ im Kopf, reden wir über die Plage. Im Hohlraum unter Pablos Terrasse leben Rattenfamilien, die Verandatür kann er kaum öffnen, der Schinken lockt. Mit Hasendraht stopft Pablo Rattenlöcher im Gartenboden, fügt dicke Dornen hinzu, die er vom Rosenbusch abknipst. „Wie Stacheldraht“, grinst Pablo, „hilft aber nix.“ Kammerjäger haben auch nichts gebracht. „Nach dem Gifttod verwesten die Ratten, und wenn wir grillten, stank es wie die Pest.“ Durch ein Rohr gelangen immer neue Kanalratten in Pablos Garten. Wie zum Trotz drehen wir noch einmal „Rat Trap“ von den Boomtown Rats auf.
Guido Schirmeyer
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