Emil und die Scheidungskinder

Wenn Eltern sich trennen, bricht für die Kinder ihre bisherige Welt zusammen. Die familienwerkstatt will ihnen helfen

Emils Eltern haben sich getrennt. Das hat der kleinen Schnecke sehr zugesetzt. Sie fühlt sich unsicher und schuldig. Genauso wie die Kinder, denen sie von ihren Erfahrungen erzählt.

Emil ist eine Handpuppe und das Logotier der Erfahrungsgruppe für Kinder aus Trennungs- und Scheidungsfamilien (TuSch-Gruppe). Diese TuSch-Gruppen sind ein Projekt der „familienwerkstatt“ der „reisenden werkschule scholen“ e.V., es gibt sie seit fünf Jahren. Angeleitet von zwei Gruppenleitern, je einem Mann und einer Frau, setzen sich acht Kinder zwischen fünf und 12 Jahren wöchentlich mit ihrer Situation in einer Trennungsfamilie auseinander.

Handpuppe Emil dient dabei als Gesprächsöffner. Emil bricht das Schweigen, mit dem viele Kinder auf ihre neue familiäre Situation, ihre Unsicherheit und ihre Verlassensängste reagieren. Zwar nähmen Trennungen bundesweit zu, für die Kinder seien sie jedoch immer noch traumatisierend, sagt Ini Friedrichs, eine der Gruppenleiterinnen und gleichzeitig Koordinatorin der familienwerkstatt. „Bei vielen Kindern löst die Trennung der Eltern ein Gefühlschaos aus“ erklärt sie. „Viele glauben, die Eltern hätten sich ihretwegen getrennt.“ Auch wollten viele Kinder gegenüber ihren oft zerstrittenen Eltern loyal sein. „Da bleibt für die eigene Wut, die eigene Trauer kein Raum“, beschreibt die Psychologin die Problematik.

Mit Geschichten, Gesprächen und Rollenspielen entdecken die Kinder in der Erfahrungsgruppe ihre Situation. In einer „Ich-Mappe“ sammelt jedes Kind das Erarbeitete: Geheimnisse, Ängste und Wünsche finden hier Platz. Am Ende der fünfmonatigen Gruppensitzungen bekommen die Kinder die dann mit nach Hause. „Die werden teilweise gehütet wie ein Schatz“, weiß Gruppenleiter Kolja Weerda.

Auch dem Mythos der „richtigen Familie“, unter dem viele leiden, begegnen die Gruppen mit Diskussionen. „Uns ist wichtig zu zeigen, dass auch Patchwork-Familien glücklich sein können“, erläutert Friedrichs. Sie wolle vermitteln, dass Trennungen nicht nur negative Konsequenzen haben: Der Streit in der Familie etwa höre auf, oft hätten die Kinder nach der Trennung mehr von ihren Eltern als vorher.

Das Vertrauen der Kinder gewinnen die GruppenleiterInnen mit der Zusicherung, dass nichts von dem Erzählten nach außen dringt, wenn die Kinder das nicht wollen. „Wir sind parteiisch auf Seiten der Kinder,“ sagt Friedrichs. Die Eltern reagierten auf diese Regel anfangs skeptisch, weiß die Psychologin. Doch der Erfolg der Gruppen bestätige das Konzept.

Das hat jüngst auch eine Diplomarbeit an der Hochschule Bremen ergeben. Die Sozialpädagogin Sandra Lebrecht befragte 30 der über 100 Familien, die schon teilgenommen haben, zu den Veränderungen im Verhalten ihrer Kinder. Ergebnis: Den Kindern habe die Gruppe gut getan, oft hätten sich Verhaltensauffälligkeiten der Kleinen verringert, ihr Selbstwertgefühl sei gestärkt.

Die kostenlosen TuSch-Gruppen finden laut Friedrichs regen Anklang. Doch da die Finanzierung unsicher ist, wissen die VeranstalterInnen nie, wie viele Gruppen sie jährlich anbieten können. Dennoch wollen sie keine Bezahl-Gruppen einrichten: Die Finanzen bei Trennungsfamilien seien ohnehin häufig knapp und oft Grund für Streit.

Der Bedarf an den Gruppen ist jedenfalls da: Zahlreiche Kinder müssen lange auf einen Gruppenplatz in ihrem Stadtteil warten. Schließlich wird in Deutschland jede dritte Ehe geschieden. Tanja Krämer