Wannseeroute? Nie jehört

Am Sonntag will Berlin als Radhauptstadt glänzen. Die jüngst eröffnete Wannseeroute ist die erste Paradestrecke des Radwegnetzes, hoch gelobt vom Senat. Hält sie, was sie verspricht? Eine Testfahrt

VON ULRICH SCHULTE

Ganz leise, wie ein schnurrendes Rennrad, holt einen der Ärger ein, und das schon nach gefühlten fünf Kilometern. Eine genauere Streckenangabe ist nicht möglich, denn wo, verflucht noch mal, sind diese Schilder? Das letzte liegt lang zurück, und irgendwie fühlt man sich auf der vierspurigen Grunewaldstraße fehl am Platze, so ganz ohne Auspuff hintendran. An der Ampel steht ein Streifenwagen, die Scheibe surrt runter, der Beamte antwortet freundlich: „Nö. Was für eine Route? Wannsee? Pffff … Aber die Richtung stimmt, immer geradeaus.“ Dann ist Grün.

Der Auftrag der Redaktion lautet, die Wannseeroute abzufahren, weil ja am Sonntag Sternfahrt und also großes Radhappening-Wochenende ist. Die Wannseeroute – dies am Rande für die Berliner Polizei – ist die erste voll ausgebaute und beschilderte von 20 Radstrecken, die in Zukunft das Rückgrat des Berliner Radwegenetzes bilden sollen. Ein „wichtiger Mosaikstein“ (Verkehrssenatorin Junge-Reyer), eine Paradebahn, die 28 Kilometer lang die „historische Mitte mit den Villenvororten und Naherholungsgebieten im Südwesten der Stadt verbindet“ (Pressetext).

Das Testteam könnte nicht geeigneter sein, ihm wird keine Unzulänglichkeit entgehen. Der Fahrer besitzt eine allenfalls durchschnittliche Konstitution, sein treuer Partner, ein zerkratztes NSU-Herrenrad, meldet sensibel jeden Buckel, jede Steigung. Die Kette springt bei Bodenunebenheiten zuverlässig ab, von zehn Gängen verrichten zwei ihren Dienst. Und das auch nur nach vorsichtigem Antippen der Rücktrittbremse.

Am Schlossplatz findet sich nach einer Kurzumfrage bei Straßenkehrern („Keene Ahnung, nie jehört“) das Schild. Schrift und Pfeil sind zartgrün, die Farbe der Hoffnung, auf unschuldig-weißem Grund. Der offenbar nach farbtherapeutischen Gesichtspunkten ausgewählte, beruhigende Subtext ist klug bedacht: Während der Fahrt durch die historische Mitte fühlt sich der Radler wie diese kleine Stahlkugel im Holzlabyrinth, die Kinder durch geschicktes Kippen der Flächen an Löchern vorbeimanövrieren. 50 Meter voran, Handzeichen links, Abbiegen, 50 Meter, Stopp, Vorfahrtsstraße, rechts, kurz beschleunigen, fern winkt das Jüdische Museum, Handzeichen, wieder rechts. Stop-and-go hat schon früher, mit dem Labyrinth, keinen Spaß gemacht.

Auf der Großbeerenstraße in Richtung SO 61 gibt es zum ersten Mal einen Radstreifen, der diesen Namen verdient, und die Gelegenheit, zwanglos ein Gespräch mit einer Profi-Mitradlerin (Mitte vierzig, gefederte Gabel, guter Antritt) anzuknüpfen. Einfach schnell aufschließen, dann … quäkt die Kette und verabschiedet sich vom Zahnrad. Ein paar hundert Meter weiter: „Ja, die Wannseeroute kenne ich.“ – „Wie bitte?!“ – „Ich bin sie sogar schon abgefahren. Allerdings habe ich mich an meine eigene Orientierung gehalten, ab und zu tauchten dann eben die Schilder auf. Oft sind die Kilometerangaben ein wenig seltsam. Aber das Ganze ist ja eher so eine Touristen-Geschichte.“

Ja, ja, die Schilder. Die meisten hängen gut sichtbar und weisen zuverlässig den Weg. Doch einige verbergen sich neckisch hinter Bäumen, und an manchen Ecken haben die Planer ganz aufs Aufhängen verzichtet, um dafür anderswo alle paar hundert Meter zu montieren. Die Wannseeroute ohne Stadtplan zu befahren ist wie eine Tour durch den Altglascontainer ohne Flickzeug.

So wird die Gegend um den Volkspark Wilmersdorf zum Bermuda-Dreieck. Der Bezirk hat eigene Radschilder aufgehängt, auch in Grün-Weiß, nur dass die überallhin führen, nur nicht zum Wannsee. Aber die zwei Extrarunden durch den Park lohnen, die Sandwege sind gewalzt, dank des Spielplatzes könnten Familien schon hier halten.

Dafür bietet die Strecke viel, was einen kleine Ärgernisse vergessen lässt. Der Großteil der Route ist gut geführt. Sie meidet Autoverkehr, zeigt neue Schleichwege (Das Asphaltband nördlich der U1 in Richtung Südwesten ist ein Traum!) und man ist erstaunt, wie viele kleine, lauschige Plätze es gibt im Westen Berlins – mit Bäumen und Bänken drauf und Springbrunnen, die nicht mehr sprudeln.

Dennoch, die Grundsatzkritik bleibt: Die Zuschreibung „Wannseeroute“ ist euphemistisch. Sie führt über ganz normale Seitenstraßen. Oft gibt es keinen Radweg, und wenn doch, ist es der übliche Typenmix: Mal trennen Striche etwas Fahrbahn ab, mal sind es Fugensteine auf dem Gehweg, mancher Weg hat den Kampf gegen die Baumwurzeln längst verloren. Neu auf die Straßen gepinselt, gar neu gebaut wurde – so weit man das vom Rad aus sehen kann – nichts. Neu sind nur die Schilder.