Brooklyn. Touristenattraktion im Werden

Brooklyn boomt. New-York-Kenner schwärmen seit Jahren von der ethnischen und kulturellen Vielfalt dieses Stadtteils. Hier setzt man ganz bewusst auf Nischentourismus jenseits der bekannten Pfade. Doch der nostalgische Charme bekommt Konkurrenz von Großevents

VON JOHANNES NOVY

Ein Gang über die Brooklyn Bridge gehört zum Pflichtprogramm eines New York Aufenthalts, in den dem Bauwerk ihren Namen gebenden Stadtteil verirrten sich dagegen bis vor kurzem nur wenige Touristen. Von Reiseführern und Tour-Anbietern weitestgehend ignoriert, führte Brooklyn lange Zeit eine Art Schattendasein innerhalb der Reisemetropole New York, in der die meisten touristischen Sehenswürdigkeiten traditionell in Manhattan, dem kleinsten der fünf Boroughs des Big Apple, zu finden sind. An Manhattans Vorrangstellung als touristischem Stadtzentrum gibt es nichts zu deuteln. Doch die ein wenig abfällig als Outer Boroughs bezeichneten anderen Stadtteile New Yorks haben in den letzten Jahren deutlich an touristischem Appeal hinzugewonnen. Besonders Brooklyn legt sein Dasein als touristisches Aschenputtel New Yorks ab.

Über 120 verschiedene ethnische Gruppen leben in Brooklyn und verleihen dem zweieinhalb Millionen Einwohner zählenden Stadtteil ein multikulturelles Flair, das Manhattan im Zuge der Yuppisierung der 1980er- und 1990er-Jahre ein Stück weit abhanden gekommen ist. Auch die Kunst- und Kulturszene des Stadtteils kann sich sehen lassen. Neben etablierten Institutionen wie der Brooklyn Academy of Music (BAM), einem über die Grenzen New Yorks hinaus bekannten Veranstaltungszentrum, und dem jüngst erweiterten Brooklyn Museum verfügt der Stadtteil auch über eine lebendige subkulturelle Szene. Attraktiv aufgrund günstiger Mietpreise und häufig spektakulärer Bausubstanz sind viele Nachbarschaften Brooklyns wie Red Hook und Williamsburg längst dabei, dem East Village und der Lower East Side in Manhattan den Rang als Szeneviertel abzulaufen – nirgendwo sonst in den USA triumphiert die Bezirksverwaltung: Hier leben mehr freischaffende Künstler als in Brooklyns Neighborhoods.

Kein Wunder also, das Brooklyn boomt und auch zunehmend mehr Touristen den East River überqueren, um den Stadtteil zu entdecken. Marty Markowitz, der mit wenigen Befugnissen ausgestattete, aber dafür umso charismatischere Bezirkspräsident Brooklyns, hat die Gunst der Stunde erkannt: Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die sich nur peripher für Tourismus interessierten, hat er Tourismusförderung zur Chefsache erklärt. Der in Brooklyn geborene Markowitz versteht es prächtig, seine Heimat publicityträchtig zu vermarkten. Autofahrer werden bei der Fahrt nach Brooklyn seit kurzem mit den Worten „Welcome to Brooklyn – How sweet it is!“ begrüßt. Und wer Brooklyn auf dem Highway verlässt, wird auf Initiative des exzentrischen Politikers mit einem rüden „Leaving Brooklyn? Fohgedabaudit!“ verabschiedet. Als Bestandteil einer Marketingkampagne können sich Touristen seit Anfang 2003 beim „Brooklyn Tourism & Visitors Center“ im Rathaus des Stadtteils informieren.

Während sich das New Yorker Besucherzentrum in Manhattan über Sehenswürdigkeiten abseits touristischer Trampelpfade weitestgehend ausschweigt, setzt das Brooklyner Pendant ganz bewusst auf Nischentourismus. Interessierte Reisende finden hier Informationen über nahezu jede Nachbarschaft des Stadtteils und können sich von ehrenamtlichen Mitarbeitern über besondere Events und Geheimtipps beraten lassen – falls der quirlige Markowitz nicht gerade selbst vorbeischaut und erklärt, was man in Brooklyn alles gesehen haben muss.

Der Fokus auf Community-basierten Tourismus erklärt sich durch die Konzentration der Brooklyner Tourismusinitiative auf die ethnische und kulturelle Vielfalt des Stadtteils, die Markowitz seit seinem Amtsantritt unentwegt als größten Standortvorteil Brooklyns preist. „You can see the entire world and stay in Brooklyn“, schwärmt er, der sich in den vergangen Jahren durch sein Bemühen, lokale Initiativen in seine Tourismuskampagne zu integrieren, viel Respekt in den Nachbarschaften Brooklyns erarbeitet hat.

Skeptischer stehen Community-Aktivisten dagegen einer Reihe anderer von Markowitz unterstützter tourismusbezogener Projekte gegenüber, die Brooklyns internationales Renommee stärken sollen, in den Augen ihrer Kritiker jedoch die viel gepriesene Vielfalt des Stadtteils gefährden. Gleich mehrere große Stadtentwicklungsvorhaben sorgen derzeit für Aufsehen: Seit dem letzten Monat steht fest, dass der seit Jahrzehnten fast unveränderte und wegen seines nostalgischen Charmes populäre Vergnügungspark auf Coney Island in den nächsten Jahren um ein massentaugliches Vergnügungszentrum ergänzt werden soll. Große Veränderungen stehen auch dem Zentrum Brooklyns bevor: Dort soll nach dem Willen des Bezirkspräsidenten eine von Frank Gehry geplante Basketballarena für die New York Nets entstehen – ungeachtet des Widerstands angrenzender Nachbarschaften. Als wäre dies nicht genug, plant die Brooklyn Academy of Music einen Steinwurf entfernt den Bau eines Cultural Districts mit Kultureinrichtungen, zusätzlichen Geschäften und Restaurants. Auch hier ist mit Rem Koolhaas ein Stararchitekt am Werk, auch hier fühlen sich viele lokale Akteure überrannt. Als wäre das nicht genug: In Red Hook, einem malerischen Hafenviertel im Süden Brooklyn, das sich in den letzten Jahren zu einer beliebten Künstlerenklave gemausert hat, wird ab nächstem Jahr die „Queen Mary II“, das derzeit größte Kreuzfahrtschiff der Welt, anlegen.

Angesichts rückläufiger Jobzahlen in traditionellen Wirtschaftszweigen ist es wenig überraschend, dass Markowitz Projekten wie diesen eine besondere Bedeutung beimisst. Ethno- und Nachbarschaftstourismus sind Nischenmärkte. Um Brooklyn langfristig ökonomischen Wohlstand zu garantieren, ist dies seiner Überzeugung nach aber zu wenig. Damit liegt er wohl richtig. Ebenso Recht haben aber auch Gruppen wie „Develop Don’t Destroy Brooklyn“, die vor einem Verlust lokaler Eigenart warnen und Brooklyns kulturelle und ethnische Vielfalt verteidigen wollen. Wer diese selbst erleben möchte, sollte also bald ins Flugzeug steigen – wirklich aufzuhalten scheint der rasante Wandel Brooklyns nicht.

Brooklyn Tourism & Visitors Center. 209 Joralemon Street, Brooklyn, NY 11201, www.Brooklyn-USA.org