Ein Mann für besondere Stunden

Gregor Gysi ist zurück. Er kandidiert. Nicht nur der PDS zuliebe, es geht ihm um die Rettung der deutschen Linken. Dazu fehlt ihm aber noch Lafontaine

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Das Spiel der Macht kennt keinen Ausstieg. Aus welchen Gründen auch immer ein Politiker freiwillig geht – der Rückzug verletzt die vertrauten Regeln des Geschäfts, das Publikum reagiert mit Verblüffung, der Betroffene muss mit dem Makel des Gescheiterten leben.

Das Spiel der Macht kennt erst recht keinen Wiedereinstieg. Wie kann einer glaubwürdig begründen, dass er zurück will in den politischen Betrieb, den er einst in Wehmut oder auch unter Absingen schmutziger Lieder verließ? Wie kann das ausgerechnet ein Gregor Gysi – der sich bereits zweimal ins Privatleben zurückgezogen hat und dabei über die zerstörerischen Seiten der Politik sprach? Der vor seiner Gehirnoperation im November 2004 öffentlich bekannte, Angst vor dem Tod zu haben? Dem nach der Operation wochenlang sein Körper nicht gehorchte?

Kein Problem für Gysi. Er macht an diesem Freitag alles wie immer. Großes Journalistenaufgebot in die PDS-Zentrale bestellen. Die eigene Unersetzlichkeit behaupten. Eine historische Situation heraufbeschwören.

„Ich bin bereit, diese Herausforderung anzunehmen“, sagt Gysi kurz vor Ende seiner etwa zehnminütigen Erklärung. Er guckt dabei sehr ernst. Gysi trägt einen grauen Anzug und ein weißes Hemd. Er sieht aus, als lege er gleich den Amtseid als neuer Kanzler ab.

Die Herausforderung annehmen – diese Formulierung wählt Gysi, als er vom Berliner Wahlkreis Treptow/Köpenick spricht. Den hat die PDS bei Bundestagswahlen seit 1990 noch nie gewonnen. Den will Gysi jetzt holen. Das könnte für die PDS das dritte Direktmandat bedeuten und ihr den Einzug in den Bundestag garantieren, unabhängig davon, ob die Partei die Fünfprozenthürde überspringt. Dafür hat die PDS ihren einzigen populären Politiker schließlich aus dem Ruhestand zurückgeholt: Dass er sie ein zweites Mal vor dem Untergang rettet.

Aber Gysi ist kein Mann für einen Wahlkreis irgendwo vor den Toren Berlins. Er hat immer das Große im Blick. Darum dreht sich seine Erklärung, in der er sein Comeback begründet. Er will gegen den „neoliberalen Zeitgeist“ in Deutschland und Europa kämpfen. Für die „Wiederherstellung des Primats der Politik über die Wirtschaft“. Für eine „internationale soziale Marktwirtschaft“.

Gysi kann nicht einfach zugeben, von der Politik abhängig zu sein. Er braucht für die Öffentlichkeit, aber mehr noch für sich selbst eine starke Begründung dafür, dass er nach seinen vielen Abschieden doch immer wieder zurückkommt. Er ist schließlich in einer historischen Ausnahmesituation in die Politik geschleudert worden. Er sucht instinktiv immer wieder solche großen Herausforderungen. 2001 hat er in Berlin um das Amt des Regierenden Bürgermeisters gekämpft, weil er glaubte, ein Mann wie er an der Spitze der Hauptstadt würde die deutsche Einheit vollenden. Jetzt geht es um die Rettung der deutschen Linken.

Gysi will keine Posten mehr mit Acht-Stunden-Sitzungen. Er strebt nicht nach Macht. Als er gefragt wird, ob er sich wieder als Fraktionsvorsitzender im Bundestag sehe, geht er über die Frage hinweg, als interessiere sie ihn wirklich nicht. Er sagt, wie wichtig es sei, dass überhaupt wieder „gesellschaftspolitische Debatten über Alternativen“ stattfinden. „Die These, dass es zum Sozialabbau keine Alternative gäbe, versucht schon im Keim jede Art von Diskussion zu ersticken.“

Gysi möchte reden. Er sucht nach einer politischen Plattform, von der aus er sich einmischen kann. Er will eine neue Debatte unter den Linken anstoßen. Die Linke hat seiner Meinung nach die Globalisierung und den Turbo-Kapitalismus völlig zu Recht kritisiert, aber eine Antwort auf die gewaltigen Herausforderungen noch nicht gefunden. Gysi und Lafontaine als ihre Vorreiter, als die großen Anti-Neoliberalen, die diese unsoziale Republik aufmischen – so in etwa schwebt es dem PDS-Star vor.

Darüber haben die beiden großen Unterbeschäftigten der deutschen Politik in den zurückliegenden Monaten oft geredet. Für 2006 war die Gründung einer Linkspartei geplant. Schröder hat diesen Plan mit der Ankündigung von Neuwahlen durchkreuzt. Jetzt muss alles viel schneller gehen. Gysi sagt, dass er immer noch an ein linkes Wahlbündnis glaube. Aber natürlich ist er auch davon überzeugt, dass es die PDS notfalls alleine schaffen kann. Ändern müsse sich seine Partei jedoch so oder so. Gysi nennt das die „Erweiterung ihrer Identität“. Die PDS müsse die Probleme ganz Deutschlands glaubwürdiger vertreten. Und selbstverständlich brauche die Linke Personen, die dafür symbolisch stehen. Ihm fallen, ganz zufällig, zwei Namen zuerst ein: sein eigener und der Lafontaines.

Für Gysi geht es um viel. Zuletzt war er nur noch der Ex. Ex-Parteivorsitzender. Ex-Fraktionschef. Ex-Wirtschaftssenator. Er hat nie gezeigt, ob er wirklich mehr kann, als aus einer totalitären eine demokratische Partei zu machen. Es ist seine letzte Chance zu beweisen, dass er nicht der „am meisten überschätzte Politiker Deutschlands“ ist, wie Klaus Hartung 2001 in der Zeit schrieb.

Gysi will nicht mehr den Clown spielen. Während der 30-minütigen Pressekonferenz macht er nur zwei kleine Witze. Er lacht aber nicht über sie. Er murmelt nur ein „hmm“ in sich hinein und zieht die Mundwinkel ein wenig nach oben. Er werde sich nicht mehr dem „Ausbeutungsstress“ der früheren Jahre aussetzen, sagt er. Und weniger Interviews geben. Er sei schließlich Rechtsanwalt.

Noch während Gysi diese Sätze spricht, lässt Sabine Christiansen wissen, wer am Sonntagabend in ihrer Sendung sitzt. Wolfgang Clement, Friedrich Merz und – Gregor Gysi.