Migranten retten den Fußball

Jugendliche aus türkischen Migrantenfamilien kicken in NRW ganz vorne mit. Ohne sie fehlte vielen Vereinen der Nachwuchs. „Sport ist das beste Mittel zur Integration“, wissen Migrantenvertreter

Von HOLGER PAULER

Yurdumspor Köln braucht 100.000 Euro, um in der kommenden Saison in der Oberliga Nordrhein spielen zu können. Eine Rettungskampagne soll helfen. „Wir haben vor allem versucht, möglichst viele türkische Multiplikatoren zu erreichen“, sagt Tayfun Keltek, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen (LAGA) in NRW und Sportlehrer an einer Realschule in Köln-Deutz. Am vergangenen Freitag hat sich ein breites Bündnis zur Rettung des Vereins zusammen gefunden. Mit dabei waren Migrantenorganisationen sowie Geschäftsleute deutscher und türkischer Herkunft.

„Sport ist das beste Mittel zur Integration“, sagt Keltek. Seine tägliche Arbeit mit Jugendlichen lässt ihn zu dem Schluss kommen, dass der Sport, insbesondere der Fußball „der einzige gesellschaftliche Bereich ist, in dem alle Jugendlichen die gleichen Startchancen haben“. Die immer noch großen Sprachbarrieren fielen dort weg. Deshalb würden sich die Jugendlichen aus Migrantenfamilien besonders im Sport engagieren.

„Früher haben die Funktionäre gesagt, dass ‚Ausländer‘ keine Chance haben, ganz nach oben zu kommen“, sagt Tayfun Keltek. Seit den 90er Jahren habe allerdings ein Umdenken stattgefunden. Mit dafür verantwortlich seien auch die neu entstandenen „eigenethnischen“ Vereine. Türkiyemspor Berlin, Türk Gücü München oder eben Yurdumspor Köln. „In diesen Vereinen spielen Jugendliche aus bis zu 20 verschiedenen Herkunftsländern“, sagt Keltek, auch für deutsche Jugendliche sei hier Platz.

Ein anderes Beispiel: Die A-Jugend des VfL Bochum gewann gestern zum dritten Mal in Folge den Titel in der Junioren-Bundesliga West. Die Stars des Teams: Haluk Türkeri (33 Tore) und Dilaver Güclü (15 Tore). Über die Hälfte des Teams hat einen Migrationshintergrund. Ohne Migranten ist der Fußball auch andernorts in NRW nicht denkbar. „Viele Vereine könnten ohne Migranten ihre Jugendabteilungen schließen“, sagt Peter Lange, Dozent und Fußball-Lehrer an der Ruhr-Uni Bochum. Der Anteil liegt mittlerweile bei knapp 70 Prozent. Tendenz steigend.

Die meisten Jugendlichen sind in Deutschland geboren, leben mit ihren Familien bereits in der zweiten oder dritten Generation hier. „Sie haben nur das eine Heimatland“, sagt Keltek, „und das ist Deutschland und nicht die Türkei“. Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts im Jahre 2000 zollte dieser Entwicklung Tribut. In Deutschland geborene Kinder aus Migrantenfamilien bekommen zunächst die doppelte Staatsbürgerschaft. Nach Ablauf der Entscheidungsfrist entschieden sich viele von ihnen für den deutschen Pass, sagt Keltek. „Es war eine richtige Welle.“ Immer mehr Jugendliche wie der Essener Serkan Calik und der Schalker Serkan Durmaz spielen in deutschen Jugendnationalmannschaften.

Neu ist das alles nicht: Die polnischen Einwanderer zu Beginn des letzten Jahrhunderts hätten es anfangs auch sehr schwer gehabt, sagt Tayfun Keltek. Später profitierte nicht nur der Ruhrgebietsfußball von ihnen. Szepan und Kuzorra schossen Schalke zur Meisterschaft. Tibulski aus Gelsenkirchen, Szymaniak aus Erkenschwick oder der Düsseldorfer Juskowiak trugen nach dem Krieg das Trikot der deutschen Nationalmannschaft.