Der Schrecken von Bagan

Auf der Flucht vor einem Geisterbeschwörer unterwegs im fernen Myanmar

„Nat des CD-ROM-Brennens, ergreife von diesem schlechten Kunden Besitz“

Nach einer ganzen Tagesreise durchs mysteriöse Land Myanmar erreichten wir mitten in der Nacht den geheimnisvollen Inle-See. „Hoffentlich“, seufzte meine süße chinesische Dolmetscherin hier, „sind wir den Schrecken von Bagan jetzt wirklich los.“

Der Schrecken von Bagan hieß Mr. Tin. Wir hatten ihn gleich zwei Mal getroffen. Das erste Mal waren wir ins Dorf Myinkaba geradelt, zwei Kilometer südlich der historischen Tempelstadt. Wir hatten gehört, man könne bei ihm Fotos auf CD brennen lassen. Mr. Tin entpuppte sich als kleiner, dicker Mann. Mit einem breiten Grinsen empfing er uns in seiner dunklen Hütte. „Du CD-Brennen?“ Er nickte eifrig und zeigte auf eine Tafel: „16 MB = 6000 Kyat.“ Das waren mehr als sechs US-Dollar. Wir zeigten Mr. Tin einen Vogel: „Du nicht mehr alle haben.“ Zur Antwort grinste Mr. Tin noch breiter. Heißen sollte das: „Ich haben nicht nur alle. Ich haben Monopol.“

So hatten wir jedenfalls das Grinsen verstanden. Wir wussten ja noch nichts von Mr. Tins anderen Qualitäten. Die sollten sich uns zwei Tage später offenbaren, als wir zufällig in eine Novizenzeremonie platzten. Wir waren noch einmal durch Myinkaba flaniert und neugierig vor einem prächtig geschmückten Zelt stehen geblieben. Ein Mann mit dicker Brille, der sich als „Agricultural Supervisor“ vorstellte, lud uns zum Bleiben ein.

Die Novizenzeremonie ist das wichtigste Ereignis im Leben eines Birmanen. Er erlebt sie in der Regel als Junge im Alter von elf oder zwölf Jahren. Sie dauert Stunden. Am Ende wird dem jungen Burschen der Kopf rasiert, und er geht für eine Weile als Mönch ins Kloster. Unser Novize war ein überaus wohl genährtes Bürschchen, das man zur Feier des Tages in farbenprächtige Gewänder gesteckt hatte. Umgeben war er von einem Hofstaat kleiner Mädchen, die wie Prinzessinnen gekleidet waren.

Kaum hatten wir neben dem Agronomen Platz genommen, setzte Gamelanmusik ein und ein Mann in traditioneller birmanischer Tracht betrat das Zelt. Er trug ein weißes Hemd, einen Longyi aus golddurchwirkter Seide und auf dem Kopf das an der Seite geknotete birmanische Männerkopftuch. „Wer ist das?“, fragte ich unseren Nachbarn. „Der Zeremonienmeister.“ Der Typ kam mir irgendwie bekannt vor. Ich sah ihn mir genauer an. Er grinste. Kein Zweifel: Es war Mr. Tin. Die Musik verstummte. Mr. Tin begann etwas zu murmeln. Der dickliche Novize und die kleinen Prinzessinnen falteten die Hände. Der Zeremonienmeister wob weiße Fäden, hängte sie dem dicken Jungen um den Hals und gab ihm eine Suppe zu trinken. Es musste ein übles Gebräu sein, denn der Junge verzog angeekelt das Gesicht. Das Gamelanorchester setzte wieder ein. Mr. Tin erhob seine Stimme. „Jetzt“, sagte der Landwirtschaftsexperte, „lädt er die 37 Nats zur Feier ein.“

Verdammt. Das hier war also nicht bloß eine schlichte Novizenfeier, sondern eine echte Nat Pwe, eine Geisterbeschwörungszeremonie. Mit den Nats in Myanmar aber ist nicht zu spaßen. Der Hmin Nat beispielsweise lebt in den Wäldern und schüttelt seine Opfer so lange, bis sie irre werden. Übel ist auch der Nat von Tagaung. An den Magenkoliken, die er verursacht, kann man sterben.

Ich fühlte bereits Stiche in der Magengrube, als sich die Musik zum Crescendo steigerte und ein dünner Mann ins Zelt hüpfte. Er hatte knallrot geschminkte Lippen, trug einen pinkfarbenen Longyi und ein grellgelbes Unterhemd. Er begann sofort mit einem grotesken, enorm schwul wirkenden Tanz. Auf jedem Christopher Street Day wäre er eine mittlere Attraktion gewesen. „Das ist die Nat-Gadaw“, erläuterte der Übersetzer, „die Frau des Nats. Mit dem Tanz lädt sie einen Nat ein, von ihrem Körper Besitz zu ergreifen.“ Mr. Tin sah zu mir rüber und grinste diabolisch. Und plötzlich war mir klar, das er was plante. Irgendwo hatte ich gelesen, dass auf einer Nat Pwe der beschworene Geist manchmal und aus unbekannten Gründen in einen Gast einfährt. Der Nat kann dann nur durch einen langwierigen Exorzismus ausgetrieben werden. Ich glaubte jetzt auch zu verstehen, was Mr. Tin da murmelte: „Nat des CD-ROM-Brennens, ergreife von diesem schlechten Kunden Besitz.“

Die Musik stoppte wieder, und die tanzende Geisterbraut verbeugte sich geziert. Dann nahm sie beziehungsweise er einen leeren Kunstdüngersack und begann damit, Geld für seine Darbietung einzusammeln. Ich achtete nicht auf den Tänzer, sondern sah zu Mr. Tin hinüber. Der schrie jetzt laut und deutete auf mich. „Mein Gott. Was will er?“, fragte ich den Agrikulturellen. „Er sagt: Der Ausländer muss auch was geben. Sie sind aber nicht dazu verpflichtet.“ Ich keuchte: „Doch, ich bin!“ Ich zog mein Portemonnaie und schleuderte für alle sichtbar 6.000 Kyat in den Geisterklingelbeutel. Dann griff ich die Hand meiner Begleiterin und machte, dass ich wegkam. Möglichst weit weg von Mr. Tin, unserem ganz persönlichen Schrecken von Bagan.

WALTER MYNA