Einer unter elf

Luís Figo, gedemütigt von seinem Vereinstrainer, kehrt in die Nationalelf Portugals zurück, lässt sich feiern, tankt Selbstbewusstsein – und hilft mit beim 2:0-Sieg seiner Mannschaft über die Slowakei

„Ein Freund ist nach Hause gekommen“

AUS LISSABON RONALD RENG

Ein Mann wie er – 32, erfahren und gar nicht dumm – weiß, es macht keinen Sinn, vor diesem Gegner wegzulaufen. Das Alter holt jeden Spitzensportler ein. Doch nun ist es Samstagabend, die Aufregung im Stadion des Lichts in Lissabon lässt die Körper vibrieren, der Stadionsprecher ruft seinen Namen – und 62.000 antworten mit einem Geschrei, das tief aus der Kehle kommt. Es ist leicht für Luís Figo in diesem Moment zu glauben, er könnte das Alter aufhalten.

Den wenigsten Sportstars ist es vergönnt, in Würde Abschied zu nehmen. Die Sehnsucht, für immer jung zu bleiben, versperrt ihnen den Blick auf die Wirklichkeit. Luís Figo, Weltfußballer des Jahres 2001, der erste galático in der legendären Elf der so genannten Außerirdischen von Real Madrid, schien es richtig zu machen. Er trat vor einem Jahr nach dem verlorenen Europameisterschaftsfinale gegen Griechenland aus der Nationalelf zurück. Am Samstag aber war er wieder da, „nervös wie beim ersten Mal“, sagt er. In einem attraktiven Spiel gewann Portugal 2:0 gegen die Slowakei und setzte sich als Tabellenführer der WM-Qualifikationsgruppe ab. Für einen Abend genoss Figo die Illusion, alles sei wie immer.

Das ist es natürlich nicht. In seinem Verein in Madrid war er in den vergangenen zwei Monaten zum ersten Mal in seiner Karriere Ersatz. Erst diese Brüskierung hat ihn dazu bewegt, wieder für sein Land zu spielen. Sie haben es in Portugal nicht übersehen: Wenn er in Madrid keine Zuneigung mehr bekommt, erinnert er sich wieder an uns. Doch Samstagabend im Stadion des Lichts schlucken die Massen den grummelnden Missmut hinunter. Die Begeisterung heben sie sich zwar für andere auf, für den überragenden Deco und Christiano Ronaldo, der dem 1:0 durch Fernando Meira vom VfB Stuttgart mit einem gezirkelten Freistoß den zweiten Treffer folgen lässt. Doch man ist bemüht, nett zu Figo zu sein. Er darf wieder Kapitän sein. „Ein Freund ist nach Hause gekommen“, sagt Stürmer Pauleta. Der Applaus, der Figo durchs Spiel begleitet, wird getragen vom Respekt.

Figo glaubt, seine Klasse beweisen, seine Rückkehr rechtfertigen zu müssen. Er ist enorm aktiv. Manchmal übereifrig. Ein Außenristpass fliegt zu weit, er dribbelt sich fest, wo er hätte abspielen können. Dann gelingt seinen Partnern im offensivem Mittelfeld, Deco und Christiano Ronaldo, mit cooler Selbstverständlichkeit ein Meisterwerk, und man merkt, welchen Aufwand Figo mittlerweile für den kleinsten Ertrag betreiben muss. Aber die Mannschaft Portugal, eines der weltbesten Teams, kann ihn noch immer gut gebrauchen; nicht als Anführer, aber als einen unter elf. Er ist nicht mehr der größte Fußballer der Welt, schon länger nicht mehr der schnellste, das Gefühl im Fuß jedoch, die Intuition, wohin der Pass gespielt werden muss, machen ihn noch immer besonders. „Wenn Real Madrid seinen Wert nicht versteht“, sagt Portugals Trainer Luíz Felipe Scolari, „muss er eben weggehen.“

Wenn das so einfach wäre. Reals Trainer Wanderley Luxemburgo hat entschieden, dass Figo nicht in sein taktisches Konzept passt, es gibt genügend, nicht ganz so große Vereine, die ihn sofort nehmen würden. Doch die großen Sportstars wie Figo können offenbar nie so einfach gehen. Sie schaffen es nicht, das Alter und damit eine bescheidenere Rolle akzeptieren. „Luxemburgo hat meinen Stolz getreten“, sagt er. Er hat sich in einen sinnlosen, wortlosen Konflikt mit dem Vereinstrainer verbissen. „Figo sagt mir nicht mehr ‚Guten Morgen‘ und nicht ‚Gute Nacht‘ “, klagt Luxemburgo. „Er war es, der angefangen hat, nicht mehr mit mir zu reden!“, sagt Figo.

So läuft Luís Figo wie so viele außergewöhnliche Sportler vor ihm Gefahr, seine Karriere in Bitterkeit zu beenden. Das Comeback in der Nationalelf vertuscht die Probleme nur.