Union: Nein zur Verfassung = Nein zur Türkei

CSU-Chef Stoiber spricht Kanzler Schröder das Recht ab, vor den Neuwahlen noch EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einzuleiten. Der CDU-Europapolitiker Wissmann stellt sogar die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in Frage

BERLIN ap ■ Das Nein zur EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden hat den Streit über einen Beitritt der Türkei neu entfacht. Die Union forderte erneut einen Kurswechsel hin zu einer privilegierten Partnerschaft. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan warnte dagegen davor, von dem Ziel einer EU-Vollmitgliedschaft seines Landes abzurücken: „Wir sind nicht bereit, irgendetwas anderes zu akzeptieren.“

Die EU will am 3. Oktober Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnehmen. CDU-Chefin und Kanzlerkandidatin Angela Merkel stellte diesen Termin zwar nicht in Frage. Sie plädierte aber ebenso wie der CSU-Chef Edmund Stoiber dafür, das Ziel neu zu definieren: „Wir wollen die privilegierte Partnerschaft.“

Stoiber machte die Türkei-Politik der EU für die Verfassungskrise mitverantwortlich. „Das Signal von Schröder und Chirac an die Türkei, sie könne Vollmitglied werden, hat zum Scheitern des Verfassungsvertrags beigetragen“, sagte er laut Münchner Merkur. „Ich spreche Bundeskanzler Schröder das Recht ab, im Europäischen Rat der Aufnahme von Verhandlungen nur mit dem Ziel einer Vollmitgliedschaft der Türkei zuzustimmen“, fügte der CSU-Vorsitzende mit Blick auf die für September geplante Neuwahl hinzu. Der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags, Matthias Wissmann (CDU), stellte sogar den für 2007 geplanten Beitritt Rumäniens und Bulgariens in Frage. „Solange Rumänien und Bulgarien die Beitrittskriterien nicht erfüllen, kann der Deutsche Bundestag ihren Beitritt nicht ratifizieren“, sagte der CDU-Politiker der Welt am Sonntag.

Industriepräsident Jürgen Thumann hält den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zwar für besiegelt. Nach der Aufnahme der beiden Länder stoße die Erweiterung aber „an ihre Akzeptanzgrenze“, Europa dürfe „nicht zu schnell weiterwachsen“. Thumann verwies konkret auf die Ukraine, Moldawien oder die Türkei. „Wir müssen dafür sorgen, dass die kulturelle Identität in Europa nicht verloren geht“, sagte er. Die Grünen warnten davor, die Verfassungskrise gegen die Türkei zu instrumentalisieren. „Die Verhandlungen mit der Türkei werden schätzungsweise ein Jahrzehnt beanspruchen“, erklärte Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck. „Es ist also genug Zeit, die internen Probleme der Europäischen Union vor einer Erweiterung um die Türkei zu lösen.“ Es gebe keinen Grund, gegenüber der Türkei wortbrüchig zu werden.

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