In der Mitte des Schwarms

Zum zehnten Mal traf sich die Welt der Zukunftsforschung zum Trendtag in Hamburg. Gut 500 Teilnehmer wollten bei Häppchen und Vorträgen wissen, wie morgen kommuniziert wird. Das Stichwort lautet Schwarm-Intelligenz

von Jan Freitag

„Sie wollen Loyalität? Kaufen Sie sich einen Hund!“ Entspannte Heiterkeit weht durch den vollbesetzten Saal im Hamburger Curio-Haus. Es ist kein Lachen, dass den gut 500 Besuchern des 10. Trendtags im Halse stecken bliebe. Eher aufrichtige Freude über ehrliche Worte in einer verlogenen Zeit.

Peter Wippermann bleibt ungerührt und sorgt per Laptop für die nächste Projektion in seinem Rücken – das Bild eines spindeldürren Models. Das Modell trägt Kleidung von Zara. Die rasant wachsende Bekleidungskette Zara zeige, wie „Schwarm-Intelligenz“ funktioniere, sagt Wippermann. „Schwarm-Intelligenz“ ist das Thema des Kongresses, den Wippermanns zukunftsforschendes „Trendbüro Hamburg“ organisiert.

Was aber ist Schwarm-Intelligenz? Wippermann, angekündigt als deren Personifizierung schlechthin, ordnet seine exaltierte Dirigentenfrisur: „Bewege dich in die selbe Richtung wie deine Nachbarn“, trägt er vor. Steuere stets auf den Mittelpunkt zu, entferne dich, wenn er dir zu nahe kommt. Dieses Phänomen, so Wippermann, sei nur menschlich. Man könne es in jeder Fußgängerzone beobachten.

Für ein Unternehmen wie Zara heißt das: Bediene dich bei den Ideen der Konkurrenz (H&M), bis die eigenen besser sind. „Schwarm-Intelligenz erfindet nichts, das tun Individuen.“ Aus ganz Deutschland und etwas Europa sind die Abgesandten von Branchengrößen wie DaimlerChrysler, Scholz & Friends oder Henkel, von Hochschulen, Agenturen und Instituten, von kleinen Startups bis zur Kreissparkasse Stormarn an die Alster gekommen, um Sätze wie diese zu hören. Oder besser noch den: „Erwarten Sie nicht zu viel von Politikern“, ruft ein Referent im schwarzen Zweiteiler überm T-Shirt in die Menge, „erwarten Sie keine menschenfreundlichen Unternehmen!“

Volltreffer! Das gut situierte Publikum pflichtet David Bosshart bei, und der Chef eines Züricher Trendforschungsinstituts legt nach: „Erwarten Sie nur was von sich selbst.“ Genau das tun die Gäste an der feinen Rothenbaumchaussee, keine Frage.

Es geht um den künftigen Kurs und wer ihn steuern will, steht nicht an Deck, sondern auf der Brücke. Bis zu 780 Euro Teilnahmegebühr haben sie bezahlt, um einen Tag die Zeichen der Zukunft zu erkennen. Schwarm-Intelligenz heißt das Zauberwort, und im Herzen der Hansestadt hat sich auf Einladung des Trendbüros ein recht großer Schwarm Menschen versammelt, der begierig auf das gesellschaftliche, vor allem aber wirtschaftliche Potenzial diese Kunstbegriffs ist.

Zu Mittag gibt es Fingerfood und gediegene Schaumkreationen, natürlich. Man ist statt Geschäftsführer CEO, die Visitenkarten sitzen locker. Vom Thema haben viele nur eine vage Vorstellung. Allein, dass es um Großes geht ist Konsens. Zumal Berührungsängste mit Fremdwörtern ohnehin fehlen. Return, Supply Chaining, Emotion Workers, Knowledge Design, Decoupling – das Treffen ist nicht nur eine Parade edler Klamotten, teurer Handys und geschäftlicher Anbahnung, sondern auch unternehmerischer Anglizismen.

Ein paar der hochkarätigen Redner aus Trendforschung und schwärmender Intelligenz tragen muttersprachlich dazu bei; der Rest – ob in der Pause oder auf dem Podium – ein wenig aus Prinzip. Das Besondere an jeder Entwicklung, erklärt David Bosshart mit Schweizer Akzent und wechselt die Grafik an der Wand, „ist ein neues Vokabular“.

Google und Ebay zum Beispiel sind zwei wichtige „Smart Mobs“, handelnde Einheiten der Schwarm-Intelligenz. Die nämlich bietet, kurz erklärt, Individuen die Chance, abseits von Kontrollinstanzen und Hierarchien zu arbeiten, zu handeln, zu lernen, zu kommunizieren. Wie Ameisen im Hügel oder Vögel in Flugformation – daher der Begriff. „Netzwerke haben Löcher“, meint der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz. „Plattformen wie Ebay helfen, sie zu überbrücken.“

Das Auktionshaus gilt als Beleg, wie sich Konsumenten vom Markt befreien. Ein anderer sind Internet-Tagebücher, Blogs, in die jeder über jedes Thema Informationen online stellen kann. Oder Netz-Lexika à la Wikipedia, dem so viele Infos kostenlos zur Verfügung gestellt werden, dass es seinen Umfang alle 16 Wochen verdoppelt.

„Teams sind schlauer als der klügste Einzelne“, fasst Trendbüro-Chef Wippermann, zusammen. Klingt alles schwer nach Anarchie. Doch damit hat hier wirklich keiner was im Sinn. „Wo sind die Möglichkeiten zur Geschäftsentwicklung?“ erklärt Markendesigner Ulrich Meyer-Höllings im feinen Zwirn sein Kommen aus London. Schwärme seien da „die einzige Intelligenz mit Zukunft.“

Schließlich werde Text, verglichen mit Produktion, immer wichtiger. Das gilt sogar für die Old Economy. „Ich weiß noch nicht, wie es funktionieren wird“, sagt Sabine Walther von einem Dortmunder Bauchemie-Unternehmen, „aber hier lerne ich heute, wie wir uns in 20 Jahren aufstellen“.

The Future is now, ließe sich werberdeutsch gewendet über den Trendtag sagen. Nach der Mittagspause wird der Begriff Schwarm-Intelligenz interaktiv getestet – mit einem realen Computerspiel im Saal. In der Welt virtueller Kommunikation tut ein wenig menschliche Nähe manchmal gut. Und wenn‘s damit nicht klappt, bleibt ja noch der Hund.