schlechtes vorbild: In Hannover vollführt die SPD die Verkehrswende rückwärts und schafft die Fahrradstraßen ab
Sie proben hier also tatsächlich die Rolle rückwärts! In Hannovers Südstadt werden sechs von acht Fahrradstraßen – die älteste von ihnen besteht seit mehr als zwanzig Jahren – wieder aufgehoben. So hat es der Bezirksrat Südstadt-Bult beschlossen – auf Betreiben der SPD mit den Stimmen der CDU und der FDP.
Es ist die zweite grün-rote Koalition, die an Verkehrsfragen zerbricht. Erst im November scherte die SPD auf Stadtebene aus, weil sie das Innenstadtkonzept des grünen Oberbürgermeisters Belit Onay nicht mittragen mochte. Nun kündigten die Grünen im viel kleineren Stadtbezirksrat Südstadt-Bult die Koalition mit den Sozis auf, weil sie sich in Fahrradstraßenfrage hintergangen und verraten fühlen.
Dabei ist es ja gar nicht so, dass Sozialdemokraten die Verkehrswende grundsätzlich ablehnen. Also jedenfalls nicht auf dem Papier. In den Wahlprogrammen, Koalitionsverträgen und sogar im durchaus ambitionierten Verkehrsentwicklungsplan der Region Hannover, die von der SPD dominiert wird, steht sie überall mit drin, diese Verkehrswende. Zum Problem wird sie für die Sozis vor allem, wenn es 1. plötzlich konkret wird und 2. ein Grüner regiert.
Glaubt man den Sozialdemokraten, sind nämlich immer diese Grünen selbst schuld. Weil sie zu schnell, zu viel wollen. „Man muss die Leute mitnehmen“ ist die neue SPD-Chiffre für „Verkehrswende gern, aber bitte nur da, wo es keinem wehtut.“ Das ist ein Konzept, dass vor allem in eng bebauten Innenstadtteilen natürlich schnell an Grenzen stößt. Wie jetzt im Fall der Südstadt. Hier hatte die Stadt die Fahrradstraßen eigentlich verbessern wollen. Oder aus ihrer Sicht: verbessern müssen.
Das hat ein längere, etwas gewundene Vorgeschichte. In einem ganz anderen Stadtteil, dem Zooviertel, hatte ein pensionierter Richter gegen die Fahrradstraße vor seinem Haus geklagt. Er fand die überflüssig, sogar gefährlich. Tatsächlich gab ihm das Verwaltungsgericht Hannover zunächst recht. Doch die Stadt reagierte nicht wie erhofft. Statt die Fahrradstraße aufzuheben, strich man Parkplätze, um die Sicherheit zu erhöhen.
Dagegen klagte der Mann erneut. Und das Gericht gab ihm wieder recht: Die Stadt hatte nicht genug getan, ob die Situation für Radfahrer tatsächlich zu verbessern. Dafür – und das ist der Twist dieser Geschichte – müssten noch viel radikalere Maßnahmen angeordnet werden. In der Folge wurde das Parken am Straßenrand untersagt und der Durchgangsverkehr eingeschränkt.
Die Maßstäbe, die das Verwaltungsgericht im Hinblick auf diese eine Fahrradstraße angewandt hatte, nahm die Stadtverwaltung nun als Grundlage dafür, alle weiteren Fahrradstraßen zu überprüfen. Vor allem die Fahrbahnbreite ist dabei ein heikler Punkt. Die, hatte das Gericht geurteilt, müsste eigentlich mindestens vier Meter betragen – denn nur so könnten Radfahrer nebeneinander fahren, auch wenn Gegenverkehr kommt.
Schlechtes/gutes Vorbild
Diese Rubrik gibt’s in dieser Ausgabe zum letzten Mal. Ab nächster Woche steht hier ein neues Format.
In der Südstadt bedeutet das: Es müssten an etlichen Stellen Parkplätze geopfert werden. Um die Fahrbahnbreite zu erhöhen, Kreuzungsbereiche abzusichern, Platz für Fahrradbügel zu schaffen. Heikel in einem Stadtteil, in dem um jeden Parkplatz erbittert gestritten wird. Mit diesen Plänen finden SPD, CDU und FDP dann auch prompt, ist die Stadtverwaltung meilenweit über das Ziel hinaus geschossen.
Dann schaffen sie die Fahrradstraßen lieber gleich ganz ab. Nadine Conti
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