: „Hier bin ich in Frieden“
Im saudischen Dschidda findet die Klub-WM statt. Dort kickt Fußballstar Karim Benzema und betont seine religiöse Verbundenheit zu seiner Wahlheimat
Aus Dschidda Ronny Blaschke
Karim Benzema ist in Mekka der bekannteste Pilger, aber äußerlich unterscheidet er sich nicht von anderen Gläubigen. Der französische Fußballer trägt zwei weiße Tücher. Das eine ist um die Hüfte gebunden und bedeckt den Körper bis zu den Knien, das andere ist um die rechte Schulter geworfen. Hinter ihm ist in der Dunkelheit die Kaaba zu sehen, das „Haus Gottes“, das zentrale Heiligtum des Islams im Innenhof der Moschee.
Benzema veröffentlicht dieses Video Anfang August auf X, früher Twitter. Es zeigt ihn bei der Umra, der kleinen Pilgerfahrt, die im Gegensatz zur großen, der Haddsch, jederzeit im Jahr durchgeführt werden kann. Auf X versieht er den Clip mit dem Kommentar: „L’Unique Vérité“. Die eine Wahrheit.
Auf dem Video wirkt Benzema in sich gekehrt, wie in einem privaten Moment. Doch davon kann keine Rede sein. Allein auf X wurde das Video zehn Millionen Mal angesehen. Es ist das Dokument eines religiösen Rituals – aber auch ein Symbol für den Wandel von Saudi-Arabien.
Karim Benzema, 35, hat es als Stürmer von Real Madrid zu großem Ruhm gebracht, 2022 wurde er als Weltfußballer ausgezeichnet. Doch vor wenigen Monaten schloss er sich Al-Ittihad in Saudi-Arabien an. Der Traditionsklub, gegründet 1927, ist in der Hafenstadt Dschidda beheimatet. Von dort ist es nicht weit bis zu den wichtigsten heiligen Stätten des Islam. Die Kaaba von Mekka ist eine Autostunde entfernt und bis zur Prophetenmoschee von Medina sind es vier Autostunden. Bis Freitag findet nun in Dschidda die Fußball-Klub-WM statt. An diesem Dienstag steigt Manchester City in den Wettbewerb ein. Der Gegner: Urawa Red Diamonds aus Japan.
„Ich habe mich für Saudi-Arabien entschieden, weil ich Muslim bin und es ein muslimisches Land ist“, sagte Benzema in einem Interview für seinen Klub. „Für mich ist es der Ort, an dem ich sein möchte, hier bin ich in Frieden.“ Viele warfen Benzema Heuchelei vor, schließlich soll er bei Al-Ittihad ein Jahresgehalt von mehr als 90 Millionen Euro erhalten. Doch gerade in der arabisch-muslimischen Welt wurde Benzema gefeiert.
Für das saudische Königshaus könnten sich die Investitionen in den Fußball lohnen. International, weil die emotionalen Diskussionen über Spieler wie Benzema, Ronaldo oder Neymar die Kritik an Menschenrechtsverletzungen überdecken. Vor allem aber im eigenen Land: Saudi-Arabien muss seine Abhängigkeit von den Erdöleinnahmen verringern und will neue Wirtschaftszweige aufbauen, insbesondere für Tourismus und Dienstleistungen. Um die Identifikation der jungen Bevölkerung für die Transformation zu stärken, schürt der Kronprinz Mohammed bin Salman einen saudischen Nationalismus.
Über Generationen dominierte der Wahhabismus den Alltag, eine streng konservative Strömung des sunnitischen Islams. Das asketische Verständnis der Wahhabiten lehnt die Konsumgesellschaft ab, also auch Unterhaltung, Musik und die Verehrung menschlicher Leistungen. Lange blieben Kinos und Konzertsäle verschlossen. Frauen durften Sportwettbewerbe von Männern nicht besuchen. Dieses System galt als stabil, zumindest bei einem hohen Ölpreis, denn damit war der allgemeine Wohlstand gesichert.
Doch nun ist der Wohlstand für die schnell wachsende Bevölkerung nicht mehr sicher. De-facto-Herrscher Mohammed bin Salman wünscht sich eine „Rückkehr zum moderaten Islam“. Wie dieser moderate Islam aussehen kann, davon kann man sich in Al Balad ein Bild machen, in der Altstadt von Dschidda.
Durch die Gassen wabern die Gerüche von Backwaren und Fleischgerichten. Auf einem zentralen Platz ist an einer Häuserfassade ein großes Plakat angebracht. Darauf ist in der Mitte Karim Benzema mit verschränkten Armen abgebildet. Viele Mekka-Pilger machen ein Foto von sich und dem Fußballer. Einige von ihnen ziehen dann weiter in den nördlichen Stadtteil zum Museum über die Geschichte von Al-Ittihad. Wimpel, Trikots und Pokale sind dort ausgestellt, dazwischen Fotos des saudischen Königs und des Kronprinzen.
Muslimische Fußballer thematisieren ihre spirituelle Verbundenheit mit Saudi-Arabien: Sadio Mané, früher Liverpool, inzwischen bei Al-Nassr in Riad. Seko Fofana, einst RC Lens, nun ebenfalls Al-Nassr. Und Riyad Mahrez, früher Manchester City, mittlerweile in Dschidda bei Al-Ahli. Ihre Bekanntheit könnte das saudische Regime gewöhnlicher erscheinen lassen. Bis 2030 sollen jährlich 100 Millionen Touristen ins Land kommen, fünfmal so viele wie 2022.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht Karim Benzema. Am Nationalfeiertag Saudi-Arabiens, am 23. September, veröffentlichte er ein Foto von sich im traditionellen Thawb, im weißen knöchellangen Gewand. Benzema wird für solche Posts in der arabischen Welt gefeiert, aber auch in Saudi-Arabien ist die milliardenschwere Sportoffensive nicht unumstritten. Wegen großer Bauprojekte und Renovierungsmaßnahmen müssen in Dschidda etliche Familien ihre alten Häuser verlassen. Laut Weltbank liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Saudi-Arabien bei 24 Prozent.
Und dann wäre da noch die arabisch-muslimische Solidarität. Beim Krieg im Nahen Osten positionierte sich Benzema früh für die Palästinenser. Er postete: „Alle unsere Gebete gelten den Bewohnern von Gaza, die wieder einmal Opfer dieser ungerechten Bombardierungen sind, die weder Frauen noch Kinder verschonen.“ Für die saudische Monarchie dürfte das zu weit gehen. Palästinensische Flaggen sind in den Stadien von Riad, Dschidda oder Mekka untersagt. Der Kronprinz arbeitet an pragmatischen Beziehungen zu Israel und ist auf dessen wichtigsten Partner, die USA, militärisch angewiesen.
Auch Karim Benzema dürfte das inzwischen wissen. Der Weltfußballer von 2022 äußert sich nur noch zu politisch-religiösen Fragen, wenn es dem Königreich dienlich ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen